Wieder “must have” werden oder wie man Marken wieder auf Erfolgskurs bringt

In seinem Kommentar auf meinen Blog-Beitrag über Sony vom 2. Mai 2011 (Sony’s Markenlektion) schrieb Christian Lemke von iBrams: „Ich habe früher mal bei Nokia gearbeitet und es gab wirklich einige Must-Have-Telefone und tolle Innovationen, aktuell bin ich von Nokia leider auch enttäuscht. Ich besitze zwar ein Nokia aber habe mir dennoch ein Smartphone von Samsung gekauft clip_image001 Haben Sie einige Tipps wie ein Unternehmen ein Must-Have-Produkt vermarkten kann? Das iPhone 4 ist technisch nicht das beste Smartphone am Markt aber ein Must-Have, also was könnte Nokia oder auch andere Unternehmen tun um diesen Must-Have-Effekt zu erzeugen?“ Gute Frage! Was sollten Unternehmen in einer solchen Situation wie Nokia heute tun?

Marken wieder auf Kurs bringen, Teil 1

Beginnen wir zuerst einmal mit dem, was man auf gar keinen Fall tun sollte. Das sind drei Dinge: (1) Auf ein „besseres“ Me-too-Produkt setzen. (2) Noch mehr Produkte bringen. (3) Die Werbelinie ändern. Nur genau das machen viele Unternehmen in solchen Situationen.

Nehmen wir Punkt 1: So haben zurzeit sämtliche Mitbewerber von Apple das iPhone und und vor allem auch das iPad zum Maßstab erklärt, den es zu schlagen gilt. Nur damit legitimiert man Apple nur zusätzlich. Man macht Apple so noch wichtiger am Markt. Man anerkennt, dass Apple die Regeln vorgibt.

Damit kommen wir auch schon zum zweiten Punkt: So denken sich anscheinend viele Wettbewerber von Apple: Wenn wir Apple nicht mit einem „besseren“ Produkt schlagen können, dann vielleicht mit zwei, drei oder noch mehr Varianten. Auch keine gute Idee, weil man so die Kunden durch die Vielfalt mehr verwirrt als führt. Soll ich mir jetzt das Sony S1 Tablet oder das Sony S2 Tablet kaufen? Die logische Antwort: Da nehm’ ich doch besser gleich das iPad. Und dann folgt oft der dritte Punkt: Man beginnt zusätzlich in der Verzweiflung an der Werbeschraube zu drehen.

Marken wieder auf Kurs bringen, Teil 2

Was also tun? Da kann man viel von Nintendo lernen. Nintendo wurde mit dem Game Boy und Spielen wie Tetris und dann vor allem Super Mario zum Markensuperstar. Dann konterte Sega mit der Game Gear. Alles deutete damals auf ein Duell zwischen Nintendo und Sega im Spielkonsolen-Markt hin. Dann aber kamen Sony mit der PlayStation und Microsoft mit der Xbox.

Und auf einmal deutete alles auf ein Duell zwischen PlayStation und Xbox hin. Sega stieg aus dem Markt für Spielkonsolen aus und Nintendo schien ins Hintertreffen zu geraten. Dabei wurde das Duell zwischen Sony und Microsoft speziell mit der PlayStation 3 und der Xbox 360 immer mehr zu einem Hochleistungsduell: Noch schneller, noch besser, noch mehr Features.

Was aber tat Nintendo? Das einzig Richtige in einer solchen Situation! Man kreierte mit der Wii eine komplett neue Kategorie von Spielkonsolen rund um den Controller mit Bewegungssteuerung. Die Wii wurde zum Nintendo-Leadprodukt und zum neuen Maßstab bei Spielkonsolen. Heute schielen Sony und Microsoft wieder auf Nintendo.

Die zwei „Leadprodukt“-Wege

Das heißt: Einer der besten Wege, eine Marke bzw. ein Unternehmen wieder aufzupolieren, ist es, ein Leadprodukt einzuführen, das dann positiv auf die Absendermarke und alle anderen Produkte ausstrahlt. Dabei muss man zwei Arten von Leadprodukten unterscheiden: (1) Leadprodukte, die die Stammmarke in Summe repositionieren sollten. (2) Leadprodukte, die sich zu eigenständigen Marken entwickeln und gleichzeitig positiv auf die Stammmarke ausstrahlen.

Ad 1) In den 1960er Jahren war BMW in der Krise. Dann refokussierte der damalige BMW-Chef Paul Hahnemann die Marke auf Fahrfreude. Die Leadmodelle, die diese Positionierung so richtig glaubwürdig machten, war zuerst der BMW 1500, dann der 1600 und vor allem der legendäre 2002er. Diese erfolgreichen „Fahrfreude“-Leadprodukte luden die Marke BMW erfolgreich mit der Idee „Aus Freude am Fahren“ auf. KTM wiederum wurde von einem weiteren wenig erfolgreichen Zweiradanbieter zum Weltmarktführer bei Geländemaschinen durch das Leadprodukt Duke, der ersten Hard-Enduro. Diesen Weg sollte heute etwa auch Opel wählen, um mit einem klar positionierten Leadprodukt die gesamte Marke neu auszurichten und neu im Sinne der Leadproduktpositionierung zu positionieren.

Ad 2) Das ist der Weg, den etwa Nintendo mit der Wii ging. Die Wii ist weltweit die Nr. 1 bei Spielkonsolen mit Bewegungssteuerung und unterstreicht gleichzeitig Nintendo’s Führungsposition bei Spielkonsolen generell. Ähnlich wirkten die PlayStation für Sony bzw. iPod, iPhone oder iPad bei Apple aktuell. So ist Apple heute nicht nur ein Computerunternehmen, sondern auch wahrgenommener Weltmarktführer bei MP3-Playern, Touchscreen-Smartphones und Tablets. Dabei haben iPod, iPhone und iPad klar ein Markeneigenleben entwickelt, das es auch zu fördern gilt, indem man diese Marken weiterentwickelt. (Gleichzeitig strahlen diese Marken positiv auf die Muttermarke Apple aus.)

Motorola etwa beging beim Razr, dem damals flachsten Klapphandy der Welt den Fehler, dass man es intern anscheinend nur als ein weiteres (wenn auch sehr erfolgreiches) Modell unter vielen sah. Statt das Razr und den Erfolg des Razr’s sofort mit dem Razr 2, Razr 3, Razr 4, … auszubauen, verzettelte man sich zu vielen Modellen wie dem MotoKrzr, MotoSlvr, MotoPebl, MotoRokr, MotoSlim oder dem MotoMing. Zusätzlich taufte man auch das Razr noch in MotoRazr um. (Das wäre so, als wenn Apple jetzt aus dem iPod, dem iPhone und dem iPad, den AppiPod, das AppiPhone und den AppiPad machen würde.) Motorola hätte das Razr so behandeln müssen wie Apple jetzt das iPhone. Aber zurück zu Nokia!

Was Nokia tun sollte

Nokia ist ein Weltkonzern und kann sich daher problemlos ein Mehr-Marken-System leisten. Sprich: Nokia sollte daher gleichzeitig auf beide Wege setzen, da man in zwei Märkten tätig ist, nämlich im Markt für Mobiltelefone und im Markt für Smartphones. Das sind zwei verschiedene Kategorien und damit zwei verschiedene Märkte.

Im Markt für Mobiltelefone sollte Nokia jetzt ein neues Nokia-Leadmodell auf den Markt bringen, dass die Weltmarktführerschaft von Nokia bei herkömmlichen Mobiltelefonen unterstreicht. Eine Möglichkeit dazu wäre ein extrem strahlungsarmes Handy für Vieltelefonierer zu lancieren. Das wäre der erste Weg. Das heißt Nokia müsste klar darstellen, wer bei herkömmlichen Mobiltelefonen die Standards setzte, setzt und in Zukunft setzen wird.

Im Markt für Smartphones muss sich Nokia eingestehen, dass der Name Nokia der falsche Name ist. Hier sollte Nokia eine neue Marke lancieren, die ein echtes Markeneigenleben entwickeln und führen kann. (So spricht auch niemand von einem Apple Smartphone, sondern man spricht immer nur von einem iPhone.) Diese neue Marke sollte zusätzlich auf das Betriebsystem Android setzen, weil das der eine offene Standard gegen zwei geschlossene Standards ist. (Herausforderer sollten immer das Gegenteil machen.) So setzen sowohl RIM als auch Apple bei BlackBerry bzw. iPhone auf das hauseigene und nicht auf ein offenes Betriebssystem. Das wäre einmal der einfache Teil. Nun zum schwierigen Teil: Um eine neue Marke erfolgreich zu etablieren, muss man eine neue Kategorie von Smartphones kreieren.

Das heißt: Wenn Nokia bei Smartphones ein fulminantes Comeback feiern will, muss man das tun, was Nintendo mit der Wii bei Spielkonsolen machte. Man muss a) die Regeln brechen, um selbst neue Regeln aufzustellen, und man muss b) einen Modellnamen verwenden, der dann selbst zum Markennamen wird und ein eigenes Markenleben entwickelt. Dann hätte das Unternehmen Nokia zwei Marktführer im Portfolio, nämlich die Marke Nokia bei herkömmlichen Mobiltelefonen und die neue Marke bei einer neuen Kategorie von Smartphones. Das ist sicher nicht einfach, aber wahrscheinlich die einzige Chance, wenn man in diesem Markt bestehen will.

Aus der Marketinggeschichte lernen

Wird Nokia das tun? Wahrscheinlich nicht! Vielmehr wird man versuchen, mit aller operativen Marketinggewalt und der Kooperation mit Microsoft mit neuen Modellen unter der Marke Nokia bei Smartphones wieder Fuß zu fassen. Nur damit hat man nicht nur Apple und RIM zum Gegner, sondern auch noch Android. Es erinnert ein wenig an IBM, als man mit dem Betriebssystem OS/2 und dem PowerPC-Chip versuchte, wieder bei PCs gegen die anderen PC-Anbieter, gegen Microsoft und gegen Intel zu punkten. Obwohl man damals das größte Hardwarecomputerunternehmen der Welt war, hatte man keine Chance. (Nicht umsonst verkaufte IBM die PC-Sparte an Lenovo. )Dies sollte man auch beim größten Mobiltelefonerzeuger der Welt bedenken, bevor man strategisch die falschen Weichen für die Zukunft stellt.

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3 Antworten zu Wieder “must have” werden oder wie man Marken wieder auf Erfolgskurs bringt

  1. Christian Lemke schreibt:

    Sehr geehrter Herr Brandtner,
    vielen Dank das Sie mein Anliegen so schnell und ausführlich beantwortet haben.

    Geht Sony mit dem Sonx Xperia Play einen neuen Weg im Mobilfunkbereich? Ist das aus Ihrer Sicht eine „neuartige“ Nische?
    http://www.sonyericsson.com/cws/products/mobilephones/overview/xperia-play?cc=de&lc=de

    Nokia hatte auch schon einige „Spielmodelle“ diese Strategie wurde aber nie weiter verfolgt.

    Wie ist es eigentlich bei Dienstleistungen oder in unserem Fall mit Software? Ist es hier einfacher oder schwieriger ein Must-Have Produkt zu kreieren?

    viele Grüße aus Frankfurt
    Christian Lemke

    • michaelbrandtner schreibt:

      Hallo Herr Lemke,

      zu Sony und Sony Xperia Play. Das ist viel zu viel „Line-extension“ und viel zu wenig Leadprodukt. Das heißt: Sony neu auszurichten ist viel schwieriger als Nokia neu auszurichten, weil Nokia generell als Marke mehr Fokus als Sony hat. Nokia ist ein Handy-Unternehmen. Sony ist ein Elektronik-, Unterhaltungs und Lifestyle-Unternehmen. Auch als Nokia würde ich nicht in Richtung „Spielnische“ gehen. Nokia ist ein kein „Spieleunternehmen“.

      Zum Dienstleistungsbereich: Hier geht es um Spezialisierung, klare Positionierung und dann um Themenführerschaft. Das gilt so auch für Spezialsoftware für Unternehmen. Das Problem hier ist leider oft, dass sich die Anbieter zu „umständlich“, zu „breit“ und damit zu „unverständlich“ positionieren.

      Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben.

      Beste Grüße

      Michael Brandtner

      • Christian Lemke schreibt:

        Herr Brandtner,
        vielen DANK für die schnelle Antwort, sehe schon es ist nicht so einfach für Sony und Nokia 🙂

        Da haben wir das Glück bei iBrams das wir eine klare Positionierng mit unserer Lösung verfolgen.

        viele Grüße aus Frankfurt
        Christian Lemke

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