Imageprobleme, niedrige Einstiegsgehälter und lange Arbeitszeiten schrecken mögliche Kandidaten ab, sich bei Werbeagenturen zu bewerben. Der ZAW spricht laut Werben & Verkaufen (w&v 30/2011) von einem „handfesten Personalnotstand“. Die Werbung hat anscheinend ihre Anziehungskraft verloren. Was aber ist die Ursache dafür? Sind es wirklich nur die harten Fakten, die das Image so negativ beeinflussen?
Ursachenforschung
Aus meiner Warte liegt das Problem tiefer. Der Werbung fehlen heute vor allem auch die großen Vordenker: Also Agenturchefs, die nicht nur für ihre Agentur, sondern für die gesamte Branche Zukunftsvisionen haben. Nehmen Sie Grey Advertising in Deutschland! Solange Bernd Michael, einer der profiliertesten Marketing- und Werbedenker an der Spitze von Grey stand, war Grey klar und sehr erfolgreich als die strategisch-denkende Werbeagentur positioniert. Wo steht Grey heute? Keine Ahnung! Irgendwo im guten Mittelfeld der Top 10? Wer ist der Chef von Grey Advertising heute? Keine Ahnung und ich war – um ehrlich zu sein – zu faul zum Googeln.
Neue Vordenker braucht das Land
Der Werbung fehlen heute die neuen und jungen Vordenker, die nicht nur ihrer Agentur, sondern auch der gesamten Branche ihren Stempel aufdrücken wollen. In Deutschland gibt es noch Jung von Matt, in Österreich Demner, Merlicek und Bergmann. Aber sind das wirklich die jungen Vordenker für die Zukunft?
Dasselbe Bild in den USA: Wer sind die großen Werbedenker in den USA? Spontan fallen mir nur zwei ein: Bill Bernbach und David Ogilvy. Beide haben ihre Spuren für immer hinterlassen. Die schlechte Nachricht für die Werbebranche: Es fehlen heute die Vordenker und damit auch die Vorbilder für die Zukunft.
Die gute Nachricht für Kreative
Die gute Nachricht für die Werbebranche: Es ist ein Führungsvakuum frei, dass kreative Vordenker besetzen können, zum Wohle ihrer Agentur und zum Wohle der gesamten Werbebranche. Es ist ähnlich wie im Sport. Dort wird auch oft zwanghaft versucht, eine Sportart mit allen möglichen Maßnahmen wiederzubeleben. Nichts funktioniert! Dann taucht ein neuer Star in dieser Sportart auf und schon geht es wieder aufwärts. Das heißt nicht, dass die Werbeagenturen ihre Hausaufgaben in Sachen Personalgewinnung und Personalbindung machen müssen. Das heißt nur, dass dies alleine zu wenig sein könnte.
Michael Brandtner, Markenstratege, Associate von Ries & Ries
Diese Branche hat sich selbst ausgebeutet…
Doch, die Werbervordenker der Zukunft gibt es:
Es sind die User (im Altmarketingjargon auch „Zielgruppe“) genannt, die mit einfachsten Mitteln die klischeehaften Original-Clippings der „Werbestrategen“ persiflieren und dabei unglaubliche GRPs erreichen.
Beispiele dafür gibt es en masse unter http://www.youtube.com unter dem Suchbegriff „Werbung Verarsche“, z.B. die genial-einfache Mc.Donalds 1€ Persiflage, die mittlerweile sagenhafte 2,5 Mio. Zugriffe erreicht hat, die geschmacklos-derbe Parodie der Activia-Werbung mit 1,7 Mio. Zugriffe, oder die Paulaner -Satire mit 780.000 Zugriffen, die der Wirklichkeit näher kommt als das Original…
Es sind die Kids der interaktiven Generation, die mit der Verkündigungswerbung der achtziger Jahre nichts mehr anfangen können. Denn jeder, der einen PC und Internetanschluss hat, ist ein potentieller „Medieninhaber“.; die Zielgruppe zielt zurück – und trifft immer öfter, indem sie die oft plumpe pseudopsychologische Mechanik der Werbestrategen freilegt.
Interaktive Kommunikation ist auf Dialog aufgebaut – bloße Verkündigungen nach den alten Kochrezepten der populärpsychologischen Einweg-Werbung (AIDA Attention Interest Desire Action etc.) sind passé.
Selbst Zielgruppenmarketing-Guru Kotler hat im Herbst vorigen Jahres die Flucht nach vorne angetreten und seine alten Dogmen voriges Jahr im Herbst mit dem neuen Buch „Marketing 3.0.“ in aller Stille widerrufen, indem er sie teilweise sogar ins Gegenteil gekehrt hat. Die Werber gehen interessanten und herausfordernden Zeiten entgegen 😉
Es gab schon ein paar Querdenker.
Beispiel: Die New Yorker Agentur „Anomaly“ und ihrer Kampagne für die Aids-Stiftung. Hier wurde ein T`Shirt mit dem Logo bedruckt, dann stellte man sich als erster Kunde vor ein Apple-Geschäft in Soho um ein iPhone zu bekommen. Während der Wartezeit wurden Fotos von der wachsenden Schlange ins Internet gestellt. Es gab Millionen von Zuschauern. Die Botschaft wurde sozusagen „eingeschleust“ über das T`Shirt, da es ja eigentlich um das iPhone ging.
Beispiel: Agentur „Mother“ mit ihrem Spot „Dance“. Hier wurde Dankbarkeit gezeigt und die Treue der Kunden belohnt. Eine absolute Seltenheit!
Heute werden die Kunden eher bestraft, da Neukunden für das gleiche Angebot z.B. nur den halben Preis zahlen müssen und treue Kunden sich „verarscht“ fühlen.
Beispiel: Die neuen Denkansätze von Amir Kassaei.
Ich finde heute ist nicht die Werbung ansich ein Querdenker- und Erfolgsfaktor sondern die Geschäftsmodelle. Zumal außergewöhnliche Geschäftsmodelle nur wenig bis keine Werbung benötigen. Es spricht sich von allein herum, wenn jemand Branchengesetze auf den Kopf stellt. Bestes Beispiel: easyApotheke.
Die Werbung ansich ist eher ein Auslaufmodell. Noch nie in der Geschichte der Werbung hatte die Zielgruppe/User die Möglichkeit selbst zu entscheiden, wann und wo bzw. ob sie überhaupt einen Werbeslogan ansehen wollen. Da helfen auch nicht die sich ständig vermehrenden Plakatwände in der Stadt. Als ich dieses Jahr in San Diego war, wurde ich von Plakaten nur so erschlagen. Als ich meinen Freund, der dort lebt, fragte, ob ihn dieser „Plakatwald“ nicht nerve, fragte er: Welche Plakate? … Sie werden gar nicht mehr wahrgenommen, weil es zu viele sind.