Am Samstag, dem 23. Juli 2011 standen im Kurier, einer österreichischen Tageszeitungen zwei Headlines direkt nebeneinander: Headline 1: Verlust: Nokia rutscht in die roten Zahlen, Headline 2: Gewinn: Microsoft meldet Rekordumsatz. Wenn man beide Unternehmen nur nach den aktuellen Zahlen bewertet, geht es also Microsoft sehr gut und Nokia eher schlecht. Strategisch gesehen (ohne Blick auf die aktuellen Zahlen) stehen beide Unternehmen mit ihren Marken vor extrem großen Herausforderungen. Denn beide Unternehmen laufen Gefahr, in ihrem Kernmarkt die Führungsrolle (endgültig) zu verlieren.
Wenn Märkte divergieren
Der Auslöser des Problems von Nokia und auch von Microsoft lautet Marktdivergenz. Sehen wir uns dazu zuerst einmal Nokia an: Früher gab es nur einen Handy-Markt und den dominierte Nokia. Heute haben wir zwei große Handy-Märkte, nämlich normale Mobiltelefone und Smartphones. Diese Entwicklung ist typisch. Aus einem Urprodukt heraus entwickeln sich im Laufe der Zeit zwei oder mehrere Arten von neuen Produkten und damit auch neue Teilmärkte.
So neigen Märkte – langfristig gesehen – immer zur Divergenz. (Mehr zum Thema Divergenz und Evolution finden Sie auch in meinem Buch „Brandtner on Branding“.) So ist Nokia im Markt für normale Mobiltelefone immer noch die klare Nr. 1. Im boomenden Markt für Smartphones wird man nur als Mitläufer wahrgenommen. Hier fällt man immer weiter hinter iPhone und Co. zurück.
In einem ähnlichen Dilemma könnte sich auch Microsoft bald wieder finden, wenn man nicht rechtzeitig die richtigen strategischen Weichen stellt. So ist die wahre Stärke von Microsoft immer noch die Dominanz bei PC-Betriebssystemen. Diese Dominanz begann Anfang der 1980er Jahre mit dem IBM-PC und MS-Dos. So läuft auch heute der Großteil aller PCs und Notebooks auf Windows von Microsoft.
Nur heute haben wir auf einmal zwei führende Betriebssysteme parallel, nämlich Windows als PC-Betriebssystem und Android als Smartphone-Betriebssystem. Divergenz bei der Arbeit. Die mobile Anwendungswelt ist dabei die Schnittstelle, an der beide Betriebssysteme aufeinanderprallen. Die zwei zentralen Fragen dabei, die sich heute viele stellen, sind: (1) Wird Windows in Zukunft erfolgreich in die Smartphone-Welt vordringen? (2) Wird Android erfolgreich in die mobile Computerwelt vordringen? Wer wird der große Sieger sein?
Die strategische Antwort auf Divergenz
Wie sollten also Microsoft und Nokia auf die jeweilige divergente Entwicklung reagieren? Im ersten Schritt haben beide gleich reagiert. Man ist mit dem bestehenden Markennamen auch in den neuen Bereich vorgedrungen. So bietet Nokia einige Smartphone-Modelle an und Microsoft natürlich Windows Phone. Nur das ist markenstrategisch gesehen keine gute Idee!
Erinnern Sie sich noch an den IBM PC im Jahr 1981! Damals war IBM der Computersuperstar und auch die absolute Nr. 1 bei PCs. (Damals Anfang/Mitte der 1980er Jahre sprach man sogar von IBM und den sogenannten IBM-Clones.) Nur als die PC-Spezialisten Compaq und Dell auftauchten, war es schnell mit der PC-Vorherrschaft von IBM vorbei. IBM versäumte es damals, eine starke PC-Marke zu bauen. Dies sollte heute sowohl Nokia als auch Microsoft zu denken geben. Denn diese machen zurzeit denselben Fehler, den IBM 1981 machte.
Aber was sollten sie dann tun? Die Antwort ist klar: Selbst auf Divergenz setzen, um selbst neue Marken zu bauen. Nokia müsste heute eine neue Art, eine neue Kategorie von Smartphone kreieren. Im nächsten Schritt müsste man diese neue Kategorie mit einem neuen Markennamen besetzen, um dann diese neue Kategorie samt der neuen Marke ganz klar als die Alternative zu iPhone und BlackBerry zu positionieren. Um aber besser zu verstehen, worum es wirklich geht, sollten wir uns daher einmal Microsoft im Detail ansehen, speziell was Microsoft jetzt wirklich tun sollte.
Was Microsoft tun sollte: Die Analyse
Bei dieser Analyse sollten wir zuerst den Markt in vier Bereiche oder Segmente unterteilen: (1) Der PC-Markt, (2) Der Notebook-Markt, (3) Der Tablet/Netbook-Markt und (4) Der Smartphone-Markt:
Der PC-Markt ist ganz klar in den Händen von Microsoft. Gleichzeitig wird der PC-Markt in Summe aber von zwei Seiten bedroht. Auf der einen Seite reicht vielen heute ein Notebook statt einem PC. Auf der anderen Seite setzen auch immer mehr Unternehmen auf Thin-Client-Lösungen. Speziell auch das Thema Cloud-Computing kann hier für das PC-Betriebssystem Windows zur Bedrohung werden.
Der Smartphone-Markt ist aus Betriebssystemsicht ganz klar in den Händen von Android, Apple und RIM. Hier spielt Windows zurzeit keine Rolle.
Im Notebook-Markt ist ganz klar Microsoft mit Windows die Nr. 1. Nur hier stellt sich eine für Microsoft nicht ungefährliche Frage: Brauchen wir wirklich in Zukunft für mobile Anwendungen ein so komplexes und damit auch langsames Betriebssystem? Damit sind wir beim vierten Markt.
Im Tablet/Netbook-Bereich haben die Smartphone-Betriebssysteme bereits neben Windows von Microsoft Fuß gefasst. Hier treffen die beiden Welten zurzeit wirklich aufeinander.
Was Microsoft tun sollte: Die Empfehlung
Was also sollte Microsoft aus Markensicht tun? Hier meine Empfehlung in zwei Schritten:
Schritt 1: Microsoft sollte Windows ganz klar wie bisher auf PCs und leistungsfähige Notebooks und Netbooks fokussieren. Den Smartphone-Markt sollte man aufgeben. Die Allianz mit Nokia ist eine Allianz der Verlierer. (Schlüsselfrage dabei: Warum soll eine Kunde ein Nokia-Smartphone mit einem Windows-Betriebssystem kaufen? Das ist zurzeit aus Kundensicht die doppelt schlechte Lösung.)
Schritt 2: Microsoft braucht eine neue Marke für den mobilen Bereich, um a) dort die Weltmarktführerschaft auszubauen und um b) Android nachhaltig zu blockieren. Der Fokus dieser Marke sollte ganz klar auf Notebooks und Netbooks bzw. Tablets liegen. Es sollte das erste wirklich „schnelle“ Betriebssystem speziell für mobile Computer sein, um so Android in die leistungsschwächere Smartphone-Welt zurückzudrängen. (Das ist auch genau (noch) das (wahrgenommene) Manko von Android bei mobilen Computern. Die Kunden sind sich nicht sicher, ob es auch wirklich dauerhaft leistungsfähig genug für Netbooks und Notebooks ist.)
Aber würde dieses neue Betriebssystem nicht auch massiv in Konkurrenz zu Windows selbst treten? Natürlich würde es das tun. Nur wenn es nicht Microsoft selbst macht, macht es Android oder jemand anderer. Kodak brachte 1986 die erste kommerzielle Digitalkamera auf den Markt. Kodak ging nur mit diesem Markt markenstrategisch immer falsch um, weil man nie den Mut fand, eine neue Marke in diesem Markt zu lancieren, die man dann gegen den Fotofilm und damit gegen die eigene Marke Kodak positionieren hätte können. Und hat Kodak so den Siegeszug der Digitalkamera aufgehalten? Nein! Natürlich nicht! Hat man so das Fotofilmgeschäft erhalten? Nein! Natürlich nicht!
Die (noch) drittwertvollste Marke der Welt
Noch ist Microsoft mit einem Markenwert von 60,9 Mrd. US-Dollar die drittwertvollste Marke dieser Erde (Quelle: Interbrand, Stand 2010). Aber die Gefahr ist groß, dass Microsoft in Zukunft an Markenwert verlieren wird, wenn man jetzt nicht die richtigen strategischen Weichen für die Zukunft stellt.
Das zeigt aber auch etwas anderes ganz klar: Markenwerte spiegeln mehr die Vergangenheit als die Zukunft wider. So gesehen sind Markenwerte auch als strategisches Führungsinstrument denkbar ungeeignet. Auch wenn viele Markenwertexperten dies natürlich sicher anders sehen. Aber auch Kodak war 1999 als weltweit führender Fotofilmanbieter noch in den Top 20 der wertvollsten Marken der Welt. Erst als sich der Siegeszug der Digitalkamera bereits massiv zeigte, verlor Kodak zeitversetzt auch an Markenwert.
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