Der Altar der Vergangenheit und ein fiktives Meeting der Kutschen- und Hufschmiedeindustrie

Das 20. Jahrhundert hat gerade begonnen und noch regiert der Kaiser in Österreich. Am Horizont taucht mit der „Motorkutsche“ eine neue Technologie auf. Aus diesem Grund treffen sich in Wien die Vertreter der österreichischen Kutschenindustrie und die Vertreter der österreichischen Hufschmiedeindustrie. Dabei kommt es dann zu folgendem fiktiven Gespräch, das so fiktiv für die Nachwelt protokolliert wurde:

Das Protokoll zu diesem Gedankenaustausch

Teilnehmer A: „Immer mehr dieser studierten Experten glauben, dass diese Motorkutschen, also diese sogenannten Automobile die Zukunft der persönlichen Mobilität werden. Aus diesem Grund haben wir dieses Treffen einberufen, um über die Zukunft unserer Industrien zu diskutieren und die notwendigen Weichen für die Zukunft zu stellen.“

Teilnehmer B: „Ich habe immer schon gesagt, dass diese Studierten keine Ahnung von der Praxis haben. Nehmen Sie so ein Automobil und versuchen Sie damit von Wien nach Linz zu kommen. Unmöglich! Mit einer Tankfüllung kommen Sie nicht weit. Zudem finden Sie keine Möglichkeit zum Nachtanken, wenn sie diese brauchen und wahrscheinlich haben Sie zudem auch einen Motorschaden. Das mag vielleicht in Städten für ein paar „Auserwählte“ funktionieren, aber nie für die Masse. Wer heute von Wien nach Linz will, muss die Eisenbahn oder eine Kutsche nehmen. Punkt!“

Teilnehmer C: „Ganz richtig. Und bedenken Sie, dass es wahrscheinlich viel zu wenig von diesem Treibstoff gibt, um wirklich damit einmal Massen zu bewegen. Das ist alles Utopie. Umso erschreckender finde ich, dass es angeblich auch in unseren Reihen „Spinner“ gibt, die auf diese Technologie setzen wollen. Es ist einfach verrückt.“

Teilnehmer B: „Und die Umweltverschmutzung! Haben Sie schon einmal so eine Erdölbohrstation besucht. Das stinkt, verschmutzt extrem die Umgebung und ist auch im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich. Alleine deshalb hat das alles keine Zukunft. Und auch die Autos selbst stinken furchtbar und sind zudem unangenehm laut. Hier sollte auch der Gesetzgeber klare Grenzen ziehen. Im Gegensatz dazu sind unsere Pferde eine echte Bereicherung für die Natur und den Umweltschutz. Und das bisschen Rauch aus den Schmieden kann man klar vernachlässigen.“

Teilnehmer A: „Trotzdem sollten wir die technologischen und politischen Weichen für die Zukunft unserer Industrien heute schon vorausschauend stellen. Dazu möchte ich drei Punkte in den Raum bzw. auf die Tagesordnung stellen:

(1) Wir sollten eine Pferde-Motor-Kutsche entwickeln, um beide Technologien perfekt mit einander zu verbinden. Damit bekommen unsere Pferde auch immer wieder eine Ruhepause und können hinten einfach angehängt mittrotten. Zudem kann uns niemand mehr so vorwerfen, dass wir der Technologie im Wege stehen. Ganz im Gegenteil: Wir sind die, die wirklich technologie-offen sind.

(2) Wir sollten unbedingt mit dem Kaiser sprechen, dass unsere beiden Industrien politisch und wirtschaftlich heute und in Zukunft nachhaltig unterstützt werden. Wir sind ein echtes, wichtiges und unverzichtbares Rückgrat dieser Wirtschaft. So werden wir auch in Zukunft sehr viel mehr Menschen beschäftigen als diese dubiosen Motorkutschen-Produzenten. Nur so kann sichergestellt werden, dass unsere Wirtschaft auch in den nächsten Jahrzehnten funktionieren wird.

(3) Wir sollten diese Art von Treffen unbedingt auch auf europäischer Ebene veranstalten. Europa muss ein Kutschen- und Hufschmiede-Kontinent bleiben. Das ist unsere Zukunft und die Zukunft unseres Kontinents im Welthandel.“

Peter Drucker und der Alter der Vergangenheit

Natürlich ist das Ganze rein fiktiv. So hat natürlich diese Art von Meeting weder damals noch heute – etwa in einer anderen Industrie – stattgefunden. Was weniger fiktiv ist, ist, dass immer wieder Unternehmen und auch Volkswirtschaften in disruptiven Märkten die Vergangenheit überschätzen und die Zukunft unterschätzen.

Das gilt speziell dann, wenn man eine sehr ausgereifte Technologie mit einer neuen Technologie vergleicht, die erst am Anfang ihrer Entwicklung steht. Nicht umsonst wurde Managementdenker Peter Drucker nicht müde zu erklären, dass viele Unternehmen ihre Zukunft auf dem Altar der Vergangenheit opfern.

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