In der WirtschaftsWoche vom 24. Oktober 2011 hieß es: „Der angeschlagene Mobilfunkriese aus Finnland will mit dem ersten Windows-Handy die Wende einleiten. Die Reaktionen von Testern und Großkunden auf das noch geheime neue Smartphone zeigen: Die Chancen stehen gut.“ Am letzten Mittwoch wurde dann das neue Lumia 800 von Nokia vorgestellt und die Presseberichte waren in der Regel positiv abwartend. Wird Nokia so den Turnaround am Smartphone-Markt schaffen? Aus Markensicht sprechen drei ungelöste Problemfelder dagegen.
Problemfeld Nr. 1: Gute Produkte reichen nicht
Nokia präsentierte am Mittwoch ein gutes, vielleicht sogar ein sehr gutes Smartphone. Nur gute Produkte alleine reichen heute nicht mehr. Jeden Tag kommen neue gute und sehr gute Produkte auf den Markt, um dann letztendlich in der Flut der guten und sehr guten Produkte mehr oder weniger sang- und klanglos unterzugehen. (So habe ich auch von Google+ schon lange nichts mehr gehört.)
Nokia hat so aber eine Riesenchance vertan, weil man nur ein neues Smartphone präsentierte. Man hätte eine neue Smartphone-Kategorie präsentieren sollen. Der Zeitpunkt wäre ideal gewesen, weil Nokia zurzeit auch die notwendige Medienaufmerksamkeit dafür gehabt hätte. So haben viele mit Spannung das erste Nokia-Microsoft-Smartphone erwartet.
Problemfeld Nr. 2: Die Marke Nokia Lumia
Das zweite Problemfeld ist der Markenname. Nokia ist zurzeit laut Interbrand auf Platz 14 der 100 wertvollsten Marken der Welt. Nur leider steht Nokia für das Falsche, nämlich für Handy und nicht für Smartphone. Nokia besitzt die Handy-Position in den Köpfen der Kunden, iPhone die Smartphone-Position.
Dazu kommt noch der Produktname Lumia. Dieser klingt alles andere als nach High-Tech. Sprechen Sie einmal laut Nokia Lumia, iPhone und Samsung Galaxy aus. In Bezug auf fortschrittliche Technik klingen iPhone und Samsung Galaxy viel besser als Nokia Lumia. Lumia klingt im Vergleich irgendwie „alt und langweilig“. Vielleicht wäre es ein guter Markenname für eine Kerze oder etwa eine Lampe? (Dazu kommt, dass man im Englischen nicht weiß, wie man Lumia betonen sollte, nämlich Lu-mia oder Lum-ia.) Nokia hätte einen besseren, einen viel besseren Namen wählen sollen, nämlich einen, der als eigenständiger Markenname wie etwa iPhone funktioniert hätte.
Problemfeld Nr. 3: Die Marke Microsoft Windows
Verstärkt wird dieses Problem noch dadurch, dass auch Microsoft Windows für das Falsche steht, nämlich für PC-Betriebssystem. Bei Smartphones ist hier aber im Bereich der offenen Betriebssysteme Android die erste Adresse in den Köpfen der Kunden.
Isoliert betrachtet mag das neue Nokia Lumia ein sehr gutes Smartphone sein. Nur die Kunden treffen keine Entscheidung in Isolation. Sie wählen zwischen einem iPhone, einem Samsung Galaxy oder vielleicht einem Nokia Lumia. Und dabei könnte Nokia demnächst noch zusätzlich das iPhone 5 in den Weg kommen. Wenn Apple es clever anstellt, könnte man dieses bereits jetzt ankündigen, um die potentiellen Kunden einmal abwarten zu lassen.
Unternehmensrealität vs. Kundenwahrnehmung
Aus Managementsicht von Nokia mag alles perfekt sein: Man hat zwei sehr bekannte Markennamen (Nokia und Microsoft) mit einem sehr guten Produkt ins Rennen geschickt. Aus Sicht der Kundenwahrnehmung sieht das Ganze etwas anders aus? Warum soll man als Kunde ein Smartphone von einem Handy-Erzeuger kaufen, der auf ein PC-Betriebssystem setzt? Das ist generell ein großes Problem: Auf dem Strategiepapier und der Powerpoint-Präsentation im 25. Stockwerk des Managementgebäudes sehen viele Strategien toll aus und lassen sich rational auch schön begründen. Leider scheitern viele dieser Strategien dann auf der Straße, wo Kunden emotional entscheiden.
So gesehen hat Nokia gerade eine Riesenchance ungenutzt liegen lassen. Man hätte gerade jetzt (mit all dem Interesse) eine neue Smartphone-Kategorie mit einem neuen Markennamen lancieren sollen. Das wäre die optimale Strategie gewesen. Genau das machte Apple mit dem iPod, dem iPhone und dem iPad. iPod, iPhone und iPad sind heute eigenständige Markennamen, die ihre Kategorie dominieren. Das Nokia Lumia wird immer nur ein Nokia-Modell sein. Schlimmer noch: Es wird immer nur ein weiteres „besseres“ Smartphone unter vielen sein.
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