Microsoft übernimmt das Handy-Geschäft von Nokia war sicher eine der wichtigsten Wirtschaftsmeldungen der letzten Woche. In einem gemeinsamen Brief vermeldeten Steve Ballmer und Stephen Elop, dass man so das Beste von Microsoft und das Beste von Nokia vereinen werde. Das ist typisches Konvergenzdenken. Nur wenn man sich die wirklich großen Erfolge ansieht, beruhen diese auf dem genau gegenteiligen Denken, nämlich auf Divergenzdenken.
Zwischen den Welten
Konvergenzdenken führt nämlich dazu, dass man sich in der Regel zwischen zwei Welten setzt. Nehmen Sie das Schwimmauto! Auf der einen Seite gibt es die Welt der Autos. Auf der anderen Seite gibt es die Welt der Boote. Das Beste aus beiden Welten ist das Schwimmauto. Nur in der Praxis ist das Beste aus beiden Welten in der Regel das Schlimmste aus beiden Welten. So meinten auch die wenigen Besitzer eines Schwimmautos: „Es fährt wie ein Boot und schwimmt wie ein Auto.“
Ähnlich könnte es im übertragenen Sinn Microsoft ergehen. Warum? Das Hauptaugenmerk bei Microsoft wird jetzt noch mehr als bisher darauf gerichtet sein, dass man die beiden Welten, nämlich Windows Phone und Nokia-Smartphones miteinander verbindet. Statt den Fokus auf den Markt zu legen, wird man so den Fokus ganz stark nach innen richten. Was aber wird der Mitbewerb tun? Samsung und Co. werden vor allem den Fokus darauf legen, dass die Smartphones immer besser werden. Android wird den Fokus darauf legen, dass das weltweit führende Smartphone-Betriebssystem immer besser wird.
Das Dilemma des PC/TVs
So meinte 1995 ein prominenter und angesehener Medienexperte: „Machen Sie sich keine Gedanken über die Unterschiede zwischen einem Fernseher und einem PC, in der Zukunft wird es keinen Unterschied zwischen den beiden mehr geben.“ So war für viele Experten klar, dass PC und Fernseher miteinander konvergieren werden.
Achtzehn Jahre später sind die beiden Geräte immer noch nicht zusammengewachsen. Ein Grund dafür ist, dass Kategorien sich über einen bestimmten Zeitraum sowohl weiterentwickeln als auch divergieren, sich also auseinander entwickeln. Der Fernseher von heute sieht einfach nicht mehr so aus wie der Fernseher aus dem Jahr 1995. Heute werden die Fernseher immer größer, flacher und weniger transportfähig. Aber auch der Personal-Computer von heute sieht nicht mehr so aus wie der von 1995. Die Standgeräte werden immer weniger und die Notebooks werden immer kleiner und leichter. Wer möchte eine Kombination aus einem modernen Flachbildschirmfernseher und einem modernen Notebook herumschleppen?
Der Faktor Zeit entscheidet
Konvergenz würde perfekt funktionieren, wenn die Zeit stehen bleiben würde. Nur das tut sie nicht. Während die einen an einem Konvergenzprodukt arbeiten, entwickeln sich die Einzelprodukte in ganz verschiedene Richtungen weiter. Während also Microsoft damit beschäftigt sein wird, Nokia Smartphones mit Microsoft Software perfekt zu verbinden, werden Samsung und Co. neue Standards bei Smartphones und Android neue Standards bei Smartphone-Betriebssystemen setzen. (Genau das könnte auch für Apple mit dem iPhone und dem iPad noch einmal zum großen Problem werden.)
Fazit: Bisher war Microsoft, wenn man von der XBox, dem Surface und ein paar kleineren Flops a la dem Zune absieht, ein reiner Software-Konzern, mehr noch, nämlich der weltweit dominante Software-Konzern. Mit der Übernahme der Handysparte von Nokia verliert Microsoft endgültig diesen Fokus. Das ist keine gute Idee, denn so wird Microsoft wahrscheinlich zum doppelten Sanierungskandidaten werden, der zudem jede Menge Energie und Geld dafür ver(sch)wenden wird, zwei Verlierersysteme miteinander zu verbinden. Das Beste von Microsoft und das Beste von Nokia wird so wahrscheinlich zum Schlimmsten aus beiden Welten werden.