In so gut wie in jedem Marken- und Marketingpapier findet man einen Teilbereich zum Thema Positionierung. Darin wird die grundlegende Positionierung der Marke auf dem Papier festgelegt. Das heißt aber auch: Auf dem Papier ist so wie jede Marke positioniert. Am Markt sieht es ganz anders aus. Dort sind nur wenige Marken wirklich klar in den Köpfen der Kunden positioniert.
Positionierung als aktuelle Klammer sehen
Denn noch immer sehen viele Marken- und Unternehmensverantwortliche Positionierung als eine Art Klammer über alles. So wird dann die Positionierung nicht aus Kundensicht sondern aus Unternehmenssicht entwickelt. Man will den Kunden quasi die eigene Sicht aufs Auge drücken.
Dazu schrieb ich in meinem Buch „Brandtner on Branding“ im Jahr 2005: „Typisches Beispiel dafür ist Linde. Dort erkannte man klar, dass man die Essenz der Marke auf ein Wort reduzieren muss. [Das ist der Kerngedanke der Markenpositionierung.] Aber dies ist nicht so einfach, wenn ein Unternehmen in früher vier (jetzt drei) Geschäftsbereichen mit einer Marke tätig ist, nämlich in den Bereichen Gas, Anlagenbau, Gabelstapler und Kältetechnik (mittlerweile verkauft). Also suchte und „fand“ man ein Wort, das alle diese Bereiche abdeckt, nämlich das Wort „LeadIng.“, eine Kombination aus den Wörtern „Leading“ und „Ingenieur“. Solche Wörter kommen (leider) bei Strategie- und auch Kreativmeetings immer bestens an. Sie werden als geniale Geistesblitze gefeiert, die das unlösbare Problem gelöst haben. Fehleinschätzung, denn solche Ideen machen am Markt, in den Köpfen der Kunden keinen Sinn. Die Leute kaufen keine „LeadIng.“-Company. Die Leute kaufen die führenden Marken in den jeweiligen Bereichen. Dies sollte auch Linde bedenken, um darauf aufbauend, die richtige Marken- und Unternehmensstrategie für die Zukunft zu entwickeln, denn zurzeit ist Linde in keinem der drei verbleibenden Bereiche führend.“
So wie Linde damals im Jahr 2005 suchen viele Unternehmen heute immer noch ihre grundlegende Markenpositionierung. Man sucht nach einer Klammer, die alles abdeckt. Nur genau das funktioniert in den meisten Fällen nur auf dem Papier. Denn in den Köpfen der Kunden ist in der Regel in einem harten Wettbewerbsumfeld kein Platz für zu breite Positionen.
Positionierung als zukünftige Klammer sehen
Der zweite Aspekt, warum viele Marken und Unternehmen nicht klar positioniert sind, ist der, dass die Positionierung nicht nur das Heute sondern auch gleich noch mit die gesamte Zukunft abdecken sollte. Nur auch hier muss man extrem vorsichtig sein, dass man die Marke nicht überdehnt und damit überfordert.
Typisches Beispiel dafür war Nivea. Zuerst stand Nivea sehr erfolgreich für „Hautcreme“. Dann weitete man die Position auf Pflege aus, um unter diesem Pflegedach neue pflegende Produkte einführen zu können. So wurde aus einer Hautcreme eine Dachmarke für Pflegeprodukte.
Dies funktionierte, da die Position „Pflege“ in den Köpfen noch nicht besetzt war und vor allem auch, weil Nivea durch die Hautcreme die perfekte Ausgangsbasis besaß, um diese Position zu besetzen. Dann kam man vor einigen Jahren auf die Idee, die Pflege auf Schönheitspflege auszudehnen. Man versuchte so noch breiter zu werden. Nur das funktionierte nicht mehr, da man hier in Konkurrenz mit Marken trat, die bereits im Kosmetikmarkt stark etabliert waren. So wurde die Marke im Jahr 2011 letztendlich wieder auf ihre Pflege-Position refokussiert.
Den Fokus verengen
Was aber passiert generell, wenn man den Fokus einer Marke verengt? Dann wird die Marke spezieller. Sie wird in vielen Fällen vom Generalisten zum klar positionierten Spezialisten. Genau das machte Wolfgang Reitzle bei Linde. Er fokussierte das Unternehmen auf Industriegase, um dann die Schritte zu setzen, die Linde weltweit zur Nummer 1 in diesem Bereich machten. Heute ist Linde im wahrsten Sinne des Wortes „Leading“.
Was würde passieren, wenn man bei Nivea den Fokus weiter verengen würde? Dazu müsste man sich natürlich zuerst einmal fragen, was wäre eine logische Fokusverengung für Nivea? Meine Antwort: Auf Frauen! Würde das die Marke stärken? Mit Sicherheit. Nur was macht man dann mit Nivea Men? Hier könnte man dann eine zweite spezielle Pflegemarke nur für Männer bauen. Dann hätte man in Zukunft zwei starke Pflegemarken.
Markenerfolg ist relativ
Damit sind wir noch bei einem wichtigen Punkt. Markterfolg ist immer relativ. So kann man mit einer breiten Dachmarke sehr erfolgreich sein, solange es keine klar positionierten Spezialmarken gibt. Hier lauert auch eine Gefahr für Nivea. Solange es keine echte Spezialmarke für Männerpflege gibt, wird Nivea Men das Maß aller Dinge sein. Nur wenn eine solche Spezialmarke einmal auftauchen sollte, wird man es bei Nivea schwer bereuen, dass man nicht selbst so eine Marke baute.
Natürlich suchen Kunden nicht „LeadIng.“ – ebenso wenig wie bei Toyota „nichts ist unmöglich“ oder Googles internes Ambitions-Mantra „Mal10“. Das sind Ambitionen der Unternehmen, mit denen sie ihre Richtung vorgeben – und keine Bylines, die Verkaufserfolg erzielen sollen. Insofern können sie gut im Unternehmen funktionieren. Unternehmen dürfen nur nicht vergessen, im Produktangebot auch die Keywords und konkreten Versprechen für Kunden zu nennen. Aber eine gemeinsam Werte-Klammer ist für die gemeinsame Richtung der Mitarbeiter wichtig.
Guten Morgen Axel,
ich bin voll bei Dir.
Und Linde hat auch heute noch dieses Wort Leading, aber heute ist man wirklich Marktführer und auch aus Kundensicht „leading“, weil man von einem breiten Mischkonzern durch Fokussierung zum Weltmarktführer bei Industriegasen wurde.
Was mich „ärgert“ ist, dass viele Unternehmen solche Worte als Klammern sehen, um sich vor grundlegenden strategischen Entscheidungen „zu drücken“. Und dann enden diese Worte oft nur als Worthülsen, an die auch intern keiner glaubt.
Liebe Grüße
Michael