Disruptive E-Mobilität: Denken Sie in neuen Geschäftsmodellen und neuen Marken

„Neben dem eigenen Fachgebiet [elektrische Antriebe] geht es uns aber um das interdisziplinäre Forschen und die gesamthafte Sicht der E-Mobilität. … Ziel ist es, das technisch Mögliche holistisch zu denken und mit dem wirtschaftlich, ökologisch und sozial Sinnvollen in Einklang zu bringen.“ Diese Aussage stammt aus Markensicht leider nicht von einem CEO der etablierten Autoindustrie, sondern von JKU-Professor Gerd Bramerdorfer (Interview „Elektroautos: Wichtig ist, dass Europa seinen eigenen Weg findet, OÖN vom 17. August 2024).

E-Mobilität disruptiv sehen und verstehen

Die E-Mobilität ist mit Sicherheit eine disruptive Technologie, die bestehende Antriebstechnologien in Frage stellt, ähnlich wie das Smartphone das traditionelle Mobiltelefon oder die digitale Fotographie die analoge in Frage stellten, bedrohten und letztendlich ablösten.

Nur wann immer eine bestehende Technologie von einer neuen disruptiven Technologie bedroht wird, kann man auf drei (sehr menschliche Arten) reagieren:

(1) Negieren: Das ist die einfachste Art auf eine neue disruptive Technologie zu reagieren, weil man sich dann nicht oder über einen gewissen Zeitraum nichtmehr damit beschäftigen muss.

(2) Integrieren: Das ist die oft beliebteste Art, wenn das eigene  Unternehmen selbst führend in der alten bedrohten Technologie ist. So sah man bei Nokia im Jahr 2007 das iPhone nicht als Smartphone, sondern als eine Art „Multimedia-Handy“. Und im Markt Multimedia-Handy sah man sich bei Nokia selbst als global führend.

(3) Komplett neu denken: Genau das fällt Managern oft am schwersten, weil man dann selbst das eigene bestehende und funktionierende Geschäftsmodell einmal mental „abschreiben“ muss. Nur wenn man dies nicht tut, steigt die Gefahr, dass man als weitere Nokia oder Kodak „endet“.

Aktuell sieht es klar so aus, dass sich die westliche Automobilindustrie entschieden hat, den Weg Nr. 2 zu gehen. Man sieht die E-Mobilität als eine weitere Antriebsart, maximal als eine eigene Plattform, die man in das bestehende Geschäftsmodell integrieren kann. Das gilt für die Technologie und auch für das Branding.

Eigenes Geschäftsmodell mit eigener Marke

Nur genau damit steigt auch die Gefahr, dass man nie das volle Potenzial der E-Mobilität erkennen und realisieren kann. Man denkt in Analogie zu Nokia Multimedia-Handy statt Smartphone. Damit kommen wir noch einmal zu der oben zitierten Aussage von Gerd Bramendorfer. Denn genauso ganzheitlich sollten nicht nur die Forscher und Forscherinnen, sondern auch die Verantwortlichen in der Automobilindustrie denken.

Rückblickend hat sich in den letzten 125 Jahren ein ganzheitliches und funktionierendes Geschäftsmodell für die konventionellen Antriebe entwickelt. Genau dieses Geschäftsmodell sollte man jetzt einerseits mental auf den Prüfstand stellen, und parallel dazu sich überlegen, wie ein komplett losgelöstes neues E-Mobilitäts-Geschäftsmodell aussehen könnte. Gleichzeitig sollte man dieses Geschäftsmodell auch unter dem Gesichtspunkt einer eigenen neuen Marke denken.

Den eigenen Weg (nicht) finden

Wahrscheinlich kann nur so die europäische Autoindustrie einen eigenen Weg finden, um im globalen E-Mobilitäts-Wettbewerb zu bestehen. Das heißt aber auch: Es genügt nicht nur in der E-Mobilitäts-Technologie zu denken, es gilt wirklich darüber hinaus holistisch über die Möglichkeiten und Chancen zu denken.

Dazu noch ein wichtiger Punkt: Aktuell vergleichen wir gerne E-Autos mit konventionellen Autos. Dabei aber sollte man nie übersehen, dass man eine komplett ausgereifte Technologie mit einem komplett ausgereiften Geschäftsmodell mit einer neuen Technologie und einem neuen Geschäftsmodell vergleicht, die beide erst am Anfang der Entwicklung stehen.

Fazit: Aktuell befürchte ich, dass der derzeitige europäische Weg mehr Sackgasse als Zukunftsweg ist.

Mehr dazu auch mit Statements von mir: https://www.derstandard.at/story/3000000231867/werden-e-autos-jetzt-zu-ladenhuetern

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2 Responses to Disruptive E-Mobilität: Denken Sie in neuen Geschäftsmodellen und neuen Marken

  1. Avatar von Michael Kratz Michael Kratz sagt:

    Von einer Disruptiontechnologie wie beim Smartphone kann man hier wohl nicht sprechen. Eher von einer Subventionstechnologie deren Komplexität von den Kunden nicht angenommen wird. Zumindest nicht wenn es keine Incentives vom Produzenten oder von staatlicher Seite gibt.

  2. Man kann das Elektroauto in vier Stufen denken.

    (1) Es ist einfach ein Auto mit einem anderen Antrieb. (Das wäre der wesentlichen Autowelt am liebsten.) (Analogie zum Smartphone: Es ist einfach nur ein Handy mit mehr Funktionen.)

    (2) Es ist einfach ein Auto mit einem anderen Antrieb und anderer Software. (Hier beginnen die Probleme der etablierten Autoerzeuger, weil man Auto und nicht Software denkt. CARIAD ist ein typisches Beispiel.) (Es ist ein Handy mit mehr Funktionen und anderem Betriebssystem.)

    (3) Als eine neue Plattform, die man eigenständig entwickeln muss. (Die Neue Klasse von BMW.) (Es ist mehr als nur ein Handy, sondern wirklich eine andere neue Art von Phone.)

    (4) Als ein komplett neues Geschäftsmodell, dass das Potenzial hat – gemeinsam mit anderen Technologie – das Thema Mobilität gänzlich zu verändern. (Das ist dann disruptiv.) (Gemeinsam mit anderen Technologien und Anwendungen wird es das Thema Kommunikation und Vernetzung total verändern.)

    Und genau hier wird (bei Punkt 4) wird sich zeigen, wie sich die Autowelt wirklich verändern wird.

    Man kann sich dem verweigern, man kann es fördern, aber man kann es wahrscheinlich nicht aufhalten. Speziell interessant wird es, wenn der größte Automarkt der Welt und damit ein wichtiger Absatzmarkt für die europäischen Marken immer elektrischer wird.

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