Das Gebot der Ehrlichkeit und wie VW davon langfristig profitieren könnte

Am Sonntag, den 4. Oktober dieses Jahres warb VW auflagenstark mit einer Anzeige, die vom Design her fast ein wenig an eine Todesanzeige erinnerte, um das Vertrauen der deutschen Kunden. Mit als Aufhänger benutzte man dazu den 25-Jahres-Tag der deutschen Wiedervereinigung. So zeigte man zwar als Marke und Unternehmen Demut, aber man erinnerte auch alle Leser erneut nicht nur an den Abgasskandal, man vergaß auch wieder eine echte Lösung bzw. Zukunftsperspektive anzubieten. Dabei würde sich das gerade jetzt anbieten, um proaktiv die Zukunft zu gestalten.

Das Negative positiv nutzen

1993 präsentierten Al Ries und Jack Trout ihre 22 unumstößlichen Gebote des Marketings in Buchform. Dabei sollte VW aktuell vor allem das 15. Gebot beachten. Dieses lautet: „Seien Sie aufrichtig!“. So gesehen hat diese oben erwähnte Anzeige diesen Punkt erfüllt. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn wenn man aufrichtig ist, einen Fehler eingesteht, dann kann man diesen auch glaubwürdig in einen Pluspunkt verwandeln. Und genau dies hat man bisher versäumt.

Um besser zu verstehen, worum es geht, sollten wir uns die Psychologie hinter diesem Marketinggebot einmal näher ansehen. Eines der besten Marken- und Marketingbeispiele dafür ist die berühmte „We try harder“-Kampagne von Avis aus dem Jahr 1963. Isoliert betrachtet ist „Wir strengen uns mehr an“ nichts anderes als eine weitere Werbebehauptung, die man glauben mag oder auch nicht.

Das Geniale an dieser Kampagne war, dass Avis zuerst zugab, dass man nur die Nr. 2 in der Autovermietung war. So lautete die berühmte Headline: „Avis ist nur die Nr. 2. Warum sollten Sie bei uns mieten? Wir strengen uns mehr an.“ Genau diese Ehrlichkeit bzw. Offenheit, dass man zugab, nur die Nr. 2 zu sein, machte die Werbebehauptung „Wir strengen uns mehr an“ extrem glaubwürdig. Gleichzeitig suggeriert diese Aussage auch, dass sich Hertz als Nr. 1 nicht mehr so für die Kunden anstrengen muss.

Mit „Der VW 1970 wird auch weiterhin hässlich bleiben“ setzte VW ebenfalls in den USA auf diese Art der Psychologie, um damit die Zuverlässigkeit der Marke glaubwürdig zu unterstreichen. „Ein [aus amerikanischer Sicht] so hässliches Auto muss zuverlässig sein“, dachte sich der amerikanische Käufer. Das heißt: Wenn man in einer Aussage zuerst etwas Negatives zugibt, erhöht sich dadurch die Glaubwürdigkeit des Positiven. Wie glaubwürdig wäre es gewesen, wenn Crisan nur „es wirkt“ kommuniziert hätte? Erst durch das „Sauerteuer, aber es wirkt“ wurde die Wirkaussage glaubwürdig. Wichtig dabei: Das Negative und das Positive müssen aus Kundensicht perfekt zusammenpassen, denn sonst wird der Kunde nur verwirrt.

Reden ist Silber, Tun ist Gold

Dieses psychologische Muster sollte man aktuell auch bei VW bedenken. Auf der einen Seite sollte man so, wie man es bereits macht, einen schweren Fehler eingestehen und operativ auch wieder gut machen. Nur sollte man auch überlegen, ob man diesen Fehler für die Marke und für das Unternehmen auch strategisch nutzen könnte.

Dazu könnte der neue Vorstandsvorsitzende Matthias Müller verkünden, dass man nicht nur einen Fehler gemacht habe, sondern diesen zum Anlass nehme, der umweltfreundlichste Automobilkonzern der Erde werden zu wollen. Gerade dadurch, dass man diesen schweren Fehler gemacht hat, würde der zweite Teil der Aussage massiv an Glaubwürdigkeit gewinnen. Wenn man heute als Vorstandsvorsitzender – quasi grundlos – verkünden würde, dass man der „sauberste Autokonzern der Welt“ werden möchte, würden das viele als Werbe- oder PR-Gag abtun. Nur genau durch den schweren Fehler im Vorfeld, würde diese Aussage gerade jetzt für VW extrem glaubwürdig wirken.

Nur Reden alleine wäre hier zu wenig. So könnte er zudem verlautbaren, dass VW in Deutschland oder in den USA das größte automobile Umweltforschungszentrum der Welt errichten werde, um Mobilität ganzheitlich umweltfreundlicher zu machen, also von der Produktion über den Antrieb bis hin zum fertigen Auto. Das würde natürlich die Glaubwürdigkeit der Aussage zusätzlich massiv erhöhen. Dazu sollte aber der Spatenstich in absehbarer Zeit erfolgen.

Doppelt positioniert

Damit würde nicht nur der VW-Konzern eine neue Leadrolle in der Automobilindustrie global anstreben, auch Matthias Müller würde sich so als Person artikulieren, definieren und damit letztendlich positionieren. Natürlich müssten dann auch neue Modelle und Maßnahmen folgen, die diesem – oben genannten – Anspruch gerecht werden.

Erschien im Original auf Absatzwirtschaft.de am 5. Oktober 2015

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Eine Antwort zu Das Gebot der Ehrlichkeit und wie VW davon langfristig profitieren könnte

  1. Christian Berentzen schreibt:

    Solche ein Moment, den VW jetzt erlebt hat, ist immer der Moment, in dem die Chance steckt, sich „vom Saulus zum Paulus“ zu erheben und die Branche zu „erneuern“. Es ist auch vom Storytelling her glaubwürdig. Das zeigt uns schon die Bibel. Es schlummert in uns allen. Nur: wecken tun das wenige!!!

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