Rand versus Mitte oder was man von Air Berlin für die Zukunft lernen kann

Im Jahr 2004 erklärte der damalige Air Berlin-Chef Joachim Hunold in einem Interview über die Strategie von Air Berlin: „Außerdem ist der Preis nicht alles. Wir bieten auch Qualität. … Ich glaube an den nachhaltigen Erfolg dieser Strategie, während Ryanair auf Randflughäfen kurzfristig einen künstlichen Markt schafft.“ Heute ist Air Berlin Geschichte und Ryanair – gemessen an den jährlichen Passagierzahlen – die größte Fluglinie Europas.

Die Mitte des Marktes

Viele Unternehmer und Manager zieht es in die Mitte des Marktes. Die Logik dahinter: Wenn wir eine große und erfolgreiche Marke bauen wollen, müssen wir möglichst viele Menschen und Zielgruppen ansprechen. 2013 erklärte dazu der damalige CCO von Air Berlin: „Air Berlin ist die Airline für alle – dies müssen wir für den einzelnen Kunden maßgeschneidert rüberbringen. Urlauber brauchen eine andere Ansprache als Geschäftsreisende, für die beispielweise Gepäckregelungen weniger wichtiger sind. Wir haben unterschiedliche Ziel- und Interessensgruppen, das können allein reisende Kinder, Senioren oder auch Special-Interest-Gruppen sein.“

Nur diese Logik hat einen großen Haken. Denn in der Regel begibt man sich so – strategisch gesehen – genau zwischen die Stühle. So war Air Berlin nie eine klassische Fluglinie wie etwa die Lufthansa noch eine Diskontfluglinie wie Ryanair. Man war weder Fisch noch Fleisch. Ganz anders Ryanair! Ryanair startete 1985 als erste Diskontfluglinie Europas am Rande des Marktes, um dann vom Rand her in die Mitte des Marktes vorzustoßen. Gleichzeitig hatte so Ryanair eine viel schlankere Struktur und Organisation wie Air Berlin.

Ein Blick zurück ins Jahr 2011

Im Nachhinein ist es in der Regel leicht, eine Marke bzw. deren Management zu kritisieren. Deshalb sollten wir einen Blick in die Vergangenheit werfen. So schrieb ich am 25. August 2011 an dieser Stelle: „Das ist auch das aktuelle Dilemma von Air Berlin. Man hat in den letzten Jahren viele Maßnahmen gesetzt, um auf Wachstumskurs zu kommen. Man kaufte Fluglinien wie die LTU oder die dba, man beteiligte sich an Fluglinien wie etwa an Fly Niki, Man baute Hubs in Palma de Mallorca, in Berlin, Düsseldorf oder Wien auf. Man wollte den Feriengast und den Businessreisenden. Man setzte Wachstumsmaßnahme nach Wachstumsmaßnahme. Nur eines fehlte und fehlt: Die klare strategische Ausrichtung.

Wofür steht Air Berlin? Wissen Sie es? Ich habe keine Ahnung. Air Berlin ist keine Diskontfluglinie wie Ryanair oder Easyjet. Air Berlin ist aber auch keine klassische Fluglinie wie Lufthansa, British Airways oder die Air France/KLM. Air Berlin besitzt kein Wort, keine klare Position am Markt, in den Köpfen der Kunden. Air Berlin ist eine weitere Fluglinie. Dazu schrieb Absatzwirtschaft im Sonderheft Marken 2011: „Der als „Hybrid-Strategie“ bezeichnete anvisierte Spagat bestand darin, als Airline sowohl Charterdienste als Veranstalter als auch Individualdienste für Privat- und Geschäftskunden zu leisten.“ Der Claim dazu: „Your Airline.“ Haben Sie diesen Slogan gekannt? Und empfinden Sie Air Berlin wirklich als Ihre Fluglinie? Wer jedem gefallen will, gefällt letztendlich niemandem wirklich.

Schlimmer noch: Die vielen „strategielosen“ Maßnahmen machen auch die Sanierung von Air Berlin enorm schwierig. Was tun? Zuerst einmal sollte Air Berlin jetzt eine klare Strategie entwickeln, um sich klar zu positionieren. Dann muss man die Maßnahmen ergreifen, die zu der angestrebten Positionierung passen. Denn als „strategielose“ Hybrid-Airline wird man wahrscheinlich zwischen den klassischen Fluglinien und den Diskontfluglinien aufgerieben werden.“

Die wahre Größe des Marktes

Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt, nämlich dem, wie man den eigenen Markt definieren sollte, wenn man eine starke Marke bauen möchte. Dazu einige Fragen: Wie groß war der Markt für Diskontfluglinien vor Ryanair in Europa? Antwort: Genau null! Es gab nämlich vor Ryanair keine Diskontfluglinien in Europa. Wie groß war der Markt für nachgebende Zahnbürsten vor Dr. Best? Antwort: Genau null! Wie groß war der Markt für Premium-Kaffeekapselsysteme vor Nespresso? Genau null! Wie groß war der Markt für Energydrinks vor Red Bull? Genau null! Wie groß sollte der angestrebte Markt sein, wenn Sie eine neue Marke bauen möchten? Antwort: Genau null! Das heißt: Viele Marken scheitern, weil das Management sich von der Größe des Marktes angezogen fühlt. Nur so wird man entweder eine Kopie des Marktführers oder man endet wie Air Berlin in der unprofilierten Mitte des Marktes. Viel besser: Man sucht eine Idee am Rande des Marktes, von der man überzeugt ist, dass man diese einmal gegen die Mitte des Marktes positionieren kann. Das heißt: Man sollte die angedachte Größe nicht über den eigenen Markt, sondern letztendlich über die Größe des Konkurrenzmarktes definieren. Anders ausgedrückt am Beispiel Dr. Best: Wie groß ist der Markt, den eine nachgebende Zahnbürste den starren Zahnbürsten wegnehmen kann? Oder am Beispiel Ryanair: Wie groß ist der Markt, den eine Diskontfluglinie den klassischen Fluglinien wegnehmen kann? Oder am Beispiel Nespresso: Wie groß ist der Markt, den ein Premium-Kaffeekapselsystem bestehenden Kaffeesystemen wegnehmen kann?

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