Als Charles Kettering das General Motors Research Laboratory in Dayton, Ohio leitete, hing in seinem Büro ein Wandbild mit der Aufschrift: „Dieses Problem wird einfach sein, wenn es gelöst ist.“ Diese Aussage sollten heute auch viele Manager und deren Berater bedenken, denn in vielen Unternehmen wird ständig an operativen Lösungen gearbeitet, ohne dass man das dahinter liegende Problem wirklich definiert hat. Die Folge: Man dreht sich operativ im Kreis, ohne wirklich jemals das grundlegende Kernproblem zu lösen.
Immer wieder dieselbe Lösung
Ein typisches Beispiel dafür ist Opel. Immer wieder wird eine Modelloffensive nach der anderen angekündigt, um das Unternehmen und die Marke endlich wieder auf Erfolgskurs zu bringen. So hieß es Ende 1998 in einer österreichischen Tageszeitung, dass Opel mit 20 neuen Modellen wieder auf Erfolgskurs kommen möchte. Und am 4. Juni dieses Jahres vermeldete das deutsche Wirtschaftsmagazin WirtschaftsWoche unter dem Titel „Opel will Marktanteile erhöhen“: „Die Modell- und Motorenoffensive will Opel mit hoher Schlagzahl fortsetzen. In den Jahren 2014 bis 2018 sind insgesamt 27 neue Modelle und 17 Motoren geplant.“ Opel-Vorstandschef Neumann will so die Basis legen, um langfristig zur zweitgrößten Automarke Europas zu werden.
Daneben dreht Opel natürlich auch fleißig an der Werbeschraube. So hatten wir Slogans wie „Technik, die begeistert“, „Frisches Denken für bessere Autos“, „Entdecke Opel“ oder aktuell „Autos zum Leben“. Daneben gibt es dazu noch die Kampagne „Umparken im Kopf“, mit der man möchte, dass die Menschheit neu über die Marke Opel denkt. Das Ganze wird natürlich noch mit regelmäßigen Rabatt- und Sonderaktionen abgerundet.
Typisches Patentrezept
Opel setzt so auf wie viele andere Unternehmen auch auf ein klassisches Patentrezept, das aus drei Teilen besteht: (1) Mehr Produkte, (2) neue Werbelinie und (3) mehr Preisaktionen. Nur in den meisten Fällen werden so die Probleme größer und nicht kleiner.
Genau damit sind wir bei der Kernfrage: „Was ist heute das Kernproblem der Marke Opel?“ Nur statt sich wirklich mit der Frage nach dem Kernproblem auseinander zu setzen, ist man speziell auch in Strategiemeetings schnell bei schnellen Lösungen, die da so lauten: „Wir müssen die Qualität unsere Produkte verbessern. Wir müssen mit neuen Modellen noch mehr Nischen abdecken. Wir müssen intern noch mehr auf die Kosten achten. Wir brauchen eine neue Werbelinie. Wir müssen kurzfristig mit aggressiven Preisaktionen versuchen, unseren Marktanteil zu halten. Wir müssen …, wir müssen … und wir müssen … .“ Kein Wunder, dass sich so viele Unternehmen operativ im Kreis drehen, weil man das strategische Kernproblem nie sauber definierte.
Das Kernproblem identifizieren
Kommen wir zurück zu Opel! Wo liegt das Kernproblem von Opel? Die Antwort darauf wird man in diesem Fall nicht im Unternehmen finden. Die Antwort darauf wird man in diesem Fall nicht im Markt finden. Die Antwort darauf findet man in diesem Fall in den Köpfen der Kunden. Opel wird heute aus Kundensicht nur als ein weiterer breitsortierter Automobilanbieter unter vielen wahrgenommen. Nur genau das ist in einem hart umkämpften Markt keine gute Ausgangsbasis für die Zukunft.
So haben die Menschen trotz der vielen neuen Opel-Modelle der letzten Jahre ihre Meinung über Opel nicht wirklich verändert. So haben die Menschen trotz der immer neuen Werbelinien und Umdenkaufforderungen ihre Meinung über Opel nicht wirklich geändert. Und Preisaktionen bewirken meist sogar das Gegenteil. Je öfter eine Marke in Aktion ist, desto geringer ist in der Regel die Wertschätzung durch die Kunden.
Das Management von Opel müsste heute zuerst – basierend auf den Wahrnehmungen durch die Kunden – festlegen, welche Position man zukünftig in den Köpfen der Kunden besitzen möchte. Dann müsste man die Marke und folglich das gesamte Unternehmen darauf ausrichten.
Von BMW und KTM lernen
In den 1960er Jahren war BMW ein weiterer breitsortierter Automobilanbieter, der vom Kabinenroller bis zur V8-Limousine alles im Programm hatte. Die vorschnelle Lösung wäre gewesen: Noch mehr neue Modelle, eine neue Werbelinie und wahrscheinlich eine aggressive Preispolitik. Nur Paul Hahnemann, der damalige BMW-Chef erkannte klar, dass die Chancen als weiterer Anbieter unter vielen wahrscheinlich sehr gering seien.
Also fokussierte er die Marke vor allem mit dem damals neuen BMW 1500er auf die Idee „Fahrfreude“. Dafür bekam er den Spitznamen „Nischenpaul“. Heute besitzt BMW die Position „Fahrfreude“ in den Köpfen der Kunden und ist weltweit die Nr. 1 im Premiumsegment. Ähnliches gelang Stefan Pierer mit der Marke und dem Unternehmen KTM. Auch er erkannte klar, dass KTM als weiterer breitsortierter Anbieter von Zweirädern aller Art, wenig Überlebenschancen haben würde. So fokussierte er die Marke sehr erfolgreich auf das „Offroad“-Segment.
Genau diese Überlegungen müsste man heute auch bei Opel anstellen, denn nur immer neue Modelle, mit immer neuen Werbethemen und immer wiederkehrenden Rabattaktionen werden die Wahrnehmung von Opel nicht verändern. Denn so wird man immer nur ein weiterer noch breiter sortierter Automobilanbieter unter vielen im Schatten von VW bleiben.
Zuerst das Problem, dann die Lösung
Die Lektion daraus ist einfach: Wann immer ein Unternehmen ein echtes Problem hat, sollte man nicht vorschnell in Lösungen denken. Vielmehr sollte man sich bewusst mit dem Kernproblem auseinandersetzen. Nicht umsonst lautet eine alte Weisheit, die anscheinend leider viel zu oft vergessen wird, dass ein gut definiertes Problem bereits die halbe Lösung ist.
Erschien im Original in Medianet vom 4. Juli 2014 unter dem Titel “Operativ dreht’s sich im Kreis …”
Ach, Opel und Markenstrategie! Als Wirtschaftsjournalist bekommen Sie die haarsträubendsten Alltagsgespräche über diese Marke mit – und interessante Dialoge unter Medienkollegen! So wieder einmal am 27. Mai 2014 (Radio Luxemburg, Morgensendung, 8.46 Uhr):
MODERATOR 1 – M1: „Ich bin auf einer Automesse am Opel Cascada Cabrio vorbeigeschlendert. Das ist der Nachfolger des Astra Cabrio. Er hat weiter keinen Eindruck bei mir hinterlassen. Aber dann habe ich mich hineingesetzt, bin eine kleine Strecke gefahren und war überrascht: er fährt sich doch ganz gut.“ (1)
MODERATOR 2 – M2: „Ist er auch personalisierbar?“
M1: „Nein, er ist nicht so lifestylig und verrückt wie dieser Opel Adam“
M2: „Wie würdest Du denn dann dieses Opel-Modell, diesen Cascada, charakterisieren?“
M1: „Er ist eine elegante Erscheinung. Er bringt ein bisschen Glamour in die Opel-Produktpalette. (2) In Auto-Zeitungen wird er mit BMW und dem Audi A5 verglichen.“ (3)
M2: “Ich finde das ein wenig übertrieben. Das ist doch ein bisschen couragiert, so etwas zu sagen. Da ist noch ein gewisser Weg dahin, in diese Liga zu kommen.“ (4)
M1: „Die Frage ist, ob sie da überhaupt ankommen wollen.“ (5)
Mir zeigt das: ad (1) Die objektive Produktqualität eines typischen Opel-Modells (in diesem Fall des ‚Cascada‘) stimmt offensichtlich.
ad (2) ‚Eleganz‘ und ‚Glamour‘ – sind das die neuen Werte, die vom Opel-Management gewollt sind? Symbolisiert durch ein sportliches Cabrio?
ad (3) Wie kommt es zu solch einem Vergleich bei Autojournalisten? Deckt sich das mit dem Ziel des Produktmanagers des Cascada? Und mit dem Ziel von Marketingchefin Tina Müller? Wollen beide, dass der Cascada in der Liga von BMW und Audi positioniert ist?
ad (4) Solche Worte wie ‚couragiert‘ fallen oft, wenn der Anspruch einer Marke und die Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen.
ad 5) Nichts ist schlimmer, wenn Unkenntnis darüber herrscht, wo eine Marke (hier das Modell Cascada, aber auch die Marke Opel generell) hinwill.
Ja, Herr Brandtner, wenn allein in einem kurzen Radio-Gespräch solche Worte wie ‚lifestylig-verrückt‘ und ‚Eleganz und Glamour‘ mit der Marke Opel assoziiert werden, symbolisiert durch zwei Modelle, in diesem Fall Opel Adam und Opel Cascada, dann ist Opel offensichtlich in den Köpfen vieler wirklich das, was Sie im Blog schreiben: Ein weiterer breit sortierter Autoanbieter unter vielen.