Immer wieder geht es aktuell in den Medien um das Freihandelsabkommen zwischen EU und USA, das quasi hinter verschlossenen Türen streng geheim verhandelt wird. Was aber genau wird dort verhandelt? Und wofür steht TIPP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wirklich? Wo liegen die Vor- und Nachteile?
Für und wider
Speziell die Befürworter dieses Abkommens tun sich anscheinend schwer, die Vorteile von TIPP zu kommunizieren. Die Gegner haben aber ein mächtiges bildhaftes Wort gefunden, das das ganze Abkommen zum Kippen bringen könnte, nämlich das Wort „Chlorhuhn“.
So schrieb etwa eine österreichische Tageszeit am 3. Juli dieses Jahres: „Das „Chlorhuhn“ zeigt Wirkung“.“ Und genau das tut es. Dieses eine Wort, das sofort ein wenig schönes Bild in den Köpfen der Kunden wirft, wird wahrscheinlich stärker sein als alle sachlichen Argumente für oder auch gegen dieses Abkommen.
Faktor: Einfachheit
Wie kann das sein? Unser Gehirn ist mit Sicherheit der komplizierteste Organismus in unserem Universum, auf jeden Fall komplizierter als der größte und teuerste Supercomputer dieser Erde. Dies ist sicher auch notwendig, um sich in unserer überkommunizierten Welt zurechtzufinden.
Nur je komplexer und unüberschaubarer dieses Umfeld wird, desto wichtiger werden einzelne Worte oder auch Ideen. Nicht umsonst sind viele erfolgreiche Markenprogramme rund um ein Wort aufgebaut: BMW steht für „Fahrfreude“, Audi für „Technik“, Dr. Best für „nachgebend“ bei Zahnbürsten, Wick Medinait für Erkältungsmittel nur für die „Nacht“ oder Geox für „atmet“ bei Schuhen.
So scheitern viele Marken- und Marketingprogramme, weil man den Kunden im wahrsten Sinne des Wortes mit Argumenten erschlagen will. So galt früher – in den 1960er Jahren – die Werbeformel „the more you tell, the more you sell“. Heute lautet die Formel zum Erfolg „the less you tell, the more you sell“.
Faktor Emotionalität
Aber es kommt noch ein Faktor hinzu, nämlich der Faktor Emotionalität. Und hier gilt: Je bildhafter dieses Wort ist, also je einfacher es zu visualisieren ist, bzw. je spontaner es ein Bild in den Köpfen der Kunden erzeugt, desto emotionaler und wirksamer ist das Wort. So ist das Wort „Steinofenpizza“ effektiver als das Wort „Fertigpizza“, denn Steinofenpizza erzeugt ein positiveres Bild als Fertigpizza. Bei Steinofen mag man an eine italienische Pizzeria denken, bei Fertigpizza denkt man wohl eher an eine Pizzaschachtel im Supermarkt.
Natürlich funktioniert ein bildhaftes Wort auch, wenn man etwas Negatives verstärken will. Hier ein Beispiel: Die meisten Krisensituationen bei Autoerzeugern kommen und gehen. Sie hinterlassen keinen starken bildhaften Eindruck in den Köpfen der Kunden. Da hat ein Erzeuger einmal Bremsprobleme, dann Elektronik- oder auch Reifenprobleme. Nur eine Autokrise wird uns wohl ewig im Gedächtnis bleiben, nämlich die der Mercedes A-Klasse, die beim Elchtest umkippte. Das Wort „Elchtest“ löst hier sofort das entscheidende Bild mit der kippenden A-Klasse aus. So lautete etwa eine Headline in der Welt im Jahr 2007: „10 Jahre Elchtest-Debakel: Mercedes und der Elch: Die perfekte Blamage“. (Kennen Sie eine andere Autokrise die ein 10-Jahres-Jubiläum feiern durfte?)
Die Macht des einen bildhaften Wortes
Dies sollte die EU nicht nur im Falle des „Chlorhuhns“ sondern auch in Summe bedenken. Denn auch der EU in Summe ergeht es ähnlich. Sie mag viele gute Dinge für Europa Jahr für Jahr tun. Sie wird doch von vielen als „weltfremder Moloch“ in Brüssel wahrgenommen, der Europa oft mit „skurrilen“ Vorschriften und Gesetzen überschwemmt. Nicht umsonst meinte auch der neue Präsident der EU-Kommission Jean-Claude Juncker bereits im Dezember 2005 über das Marketing der EU: „Während der Woche reden wir die Braut schlecht. Und am Sonntag wollen wir, dass die Öffentlichkeit applaudiert. In Sachen Marketing sind wir die begabtesten Inkompetenten, die es gibt.“
Das heißt: Auch die Verantwortlichen der neuen EU-Kommission sollten sich grundsätzlich Gedanken machen, welche Rolle Europa heute und in Zukunft in der globalisierten Welt einnehmen will. Vor allem aber sollte man sich ganz konkret damit beschäftigen, welches Wort und damit auch welches Bild man intern in den Köpfen der 500 Millionen EU-Bürger und extern in der ganzen Welt besitzen möchte. Dabei sollte man aber wirklich auf Einfachheit achten und auch vom Chlorhuhn lernen. Dieses Chlorhuhn mag nur ein ganz, ganz kleiner Teil von TIPP in Summe sein, und TIPP wiederum mag nur ein EU-Vorhaben unter vielen der nächsten Monate sein, aber es ist ein bildhaftes Wort, das ein ganzes, extrem komplexes Abkommen zu Fall bringen könnte. Das ist die Macht eines Wortes, das ein Bild in den Köpfen der Kunden wirft.