Können Sie sich an eine oder einen der Song Contest-Gewinner von 2013 bis zurück ins Jahr 2000, wenn man einmal von Lena im Jahr 2010 absieht, erinnern? Wahrscheinlich nicht! Die meisten dieser Gewinner haben keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Ein Bart macht den Unterschied
Ganz anders war es im Jahr 2014. Denn die Siegerin Conchita Wurst hinterließ einen starken visuellen Eindruck als „Frau mit Bart“. Oder anders gefragt: „Hätten Österreich bzw. Conchita Wurst auch den Song Contest 2014 gewonnen, wenn Thomas Neuwirth als normaler Mann sein Lied „Rise Like A Phoenix“ gesungen hätte?“
Wetten Sie nicht darauf! Ein wesentlicher Aspekt zum Erfolg war, dass er seine verbale Botschaft der Toleranz mit seiner Kunstfigur Conchita Wurst perfekt visualisierte und sich damit klar von den anderen Künstlern und Künstlerinnen abhob. Selbst wenn man sich einmal in Zukunft nicht an den Namen und das Lied erinnern kann, wird hängenbleiben, dass da einmal diese Frau mit Bart war.
Eine hybride Autolektion
Das ist ein wichtiger Aspekt. So bleiben viele starke verbale Botschaften auf der Strecke, weil ihnen die Visualisierung fehlt. Werfen wir dazu einen Blick auf den amerikanischen Automarkt! Der Honda Civic Hybrid war dort vor dem Toyota Prius auf dem Markt. Nur der Honda Civic Hybrid ging visuell unter, weil er wie jeder andere Honda Civic aussah. Man musste ganz genau am Heck den Schriftzug ablesen, um zu erkennen, dass es sich um ein Hybrid-Modell handelt.
Ganz anders der Prius von Toyota, der aufgrund seiner einzig- oder auch eigenartigen Form sofort als Hybridauto aus der Masse der Autos hervorstach. Der Prius war nicht nur ein Hybridauto (die verbale Botschaft). Er sah auch wie ein Hybridauto aus. (die visuelle Dramatisierung der verbalen Botschaft.) Die Form des Prius war perfekt geeignet, um die verbale Idee „Prius ist das Hybridauto“ zu hämmern. Natürlich verkauft sich der Prius auch bedeutend besser als das Hybridmodell des Honda Civics.
Ein Chlorhuhn sagt mehr als tausend Fakten
Um diese Macht der Visualisierung noch besser zu verstehen, sollten wir einen aktuellen Blick in die Politik werfen. So geht es in den Medien immer wieder um das TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), also um dieses ominöse Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA. Was aber genau wird dabei verhandelt? Und wo liegen wirklich die Vor- und Nachteile dieses Abkommens? Speziell die Befürworter dieses Abkommens tun sich anscheinend schwer, die verbalen Vorteile von TTIP zu kommunizieren. Ganz anders die Gegner: Den diese haben das Chlorhuhn.
So schrieb etwa die FAZ in diesem Jahr: „Das Chlorhuhn kommt in freier Wildbahn nicht vor. Es ist eine amerikanische Spezialität, die unfreiwillig zu großer Berühmtheit kam. Das Geflügel wurde quasi das Wappentier des freien Handels zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Präziser, es wurde zum Symbol für den Missmut, den die Aussicht auf freien Handel mit Amerika vor allem unter Deutschen erzeugt.“ Dieses eine Wort, das sofort ein wenig schönes Bild in den Köpfen der Kunden wirft, wird wahrscheinlich stärker sein als alle sachlichen Argumente für oder auch gegen dieses Abkommen.
Verbale Ideen immer auch visualisieren
In der Geschäftswelt regiert heute ganz klar das Wort: Strategiepapiere, Protokolle, Memos, Tweets, Statusupdates, Textbotschaften, PowerPoint-Präsentationen, E-Mails und auch immer noch die guten alten Briefe. Ideen, Projekte und Marketingprogramme kommen in einer wahren Wortflut daher. So ist es auch kein Wunder, dass sich viele Marketingmanager bei der Implementierung dieser Programme oft total auf das Verbale alleine konzentrieren. Nur dabei sollte man nie vergessen, dass ein Marketingprogramm noch viel mächtiger werden kann, wenn es gelingt, die verbale Kernidee zu visualisieren, egal ob mit einem Bart oder mit einem Huhn.
Erschien im Original auf Absatzwirtschaft.de am 29. Dezember 2014
Wie machtvoll ein unterstützendes Bild ist (…die Markenartikel-Firmen sprechen gern von „key visual“), zeigt der anhaltende Erfolg der Zahnbürsten-Marke „Dr. Best“, die Sie, lieber Herr Brandtner, auch immer wieder positiv erwähnen.
Diese Marke hat etwas geschafft, was ein untrügliches Indiz für einen starken Marken-Status ist… und was sonst nur den prominentesten Marken gelingt: „First in mind“ in einer Produktkategorie zu werden, dank einer schlauen, manche sagen: kongenialen Kombination aus verbaler Idee und visueller Dramatisierung, in diesem Fall ‚nachgebende Zahnbürste‘ sowie ‚Arzt mit Tomate‘.
Diese visuelle Dramatisierung half der Marke sogar, im Volksmund und in Alltagsgesprächen verankert zu werden. Und zwar mit den – von den Markenverantwortlichen erwünschten – Marken-Attributen ‚wissenschaftliche Autorität‘ sowie ‚sympathischer Auftritt‘.
Heute gehört bei einem Dialog von Radiomoderatoren in Luxemburg – liebe- und humorvoller Unterton inklusive: „Dr. Best, der Doktor mit der Zahnbürste und der Tomate… das ist doch der Cousin von Dr. Oetker!“
Beeindruckend, wie es eine Marke schafft, immer noch im Gespräch zu bleiben…