Valentinstag, Muttertag, Vatertag, natürlich Ostern und Weihnachten. Das sind klassische Anlässe, um aus der Masse herausragende Werbespots zu kreieren und zu lancieren. In den USA ist der Höhepunkt dieser Art der „Spot-Inszenierung“ natürlich die Super Bowl, in der sich Marken und Unternehmen selbst in Bezug auf Kreativität, Witz und Action überbieten wollen.
Dazu schrieb der amerikanische Adage-Kolumnist M.T Fletcher in Bezug auf die aktuelle Super-Bowl: „Super Bowl Marketing has a real problem – too many ads and not enough campaigns“. Nur dieses Problem dürfte nicht nur in den USA gelten, auch hierzulande sehen wir immer öfter einzelne herausragende Spots mit Kurzfristwirkung ohne echte herausragende Kampagnen mit Langfristwirkung.
Drei herausragende Werbespots
Dazu sollten wir einen kurzen Rückblick starten, um uns einmal drei Spots näher anzusehen, die isoliert betrachtet, in den Augen vieler ganz großes Werbekino waren oder sind:
2017 hieß es in einer deutschen Frauenzeitschrift: „Anna und ihr Papa – über dieses Video spricht ganz Deutschland“. Natürlich ging es dabei um den Saturn Werbespot, in dem Anna ihrem dementen Vater im Pflegeheim eine Virtual-Realtiy-Brille aufsetzt, damit ihr Vater noch einmal Szenen aus der Vergangenheit erleben kann. Das war mit Sicherheit emotional und bewegend, aber mit Sicherheit ohne echte Langfristwirkung für die Marke Saturn selbst.
Im Sommer 2018 wiederum war dann sicher ein absolutes Werbehighlight der Spot der Deutschen Bank mit Weltumseglerin Laura Dekker. Dazu hieß es: „Die Deutsche Bank bricht mit Weltumseglerin Laura Dekker zu neuen Ufern auf“. Damals wurde die „Leistung durch Leidenschaft“-Kampagne durch die „#positiverBeitrag“-Kampagne abgelöst. Die Kampagne rund um den positiven Beitrag gibt es immer noch, aber dieser eine Spot aus dem Jahr 2017 dürfte dabei die eine echte große kreative Ausnahme gewesen sein.
Ganz aktuell hat Media-Markt Saturn zum Valentinstag mit „Technik ist gut. Im richtigen Moment“ einen herausragenden Spot. Dieser ist sicher auch großes romantisches Werbekino mit einem Schuss Selbstironie. Aber auch hier stellen sich zwei Fragen: (1) Ist das wirklich der Auftakt zu einer neuen kreativen Ära oder eine weitere kreative Eintagsfliege? (2) Ist diese Art der Kreativität geeignet, um Media-Markt Saturn langfristig überhaupt erfolgreich zu positionieren?
Sixt, Red Bull und Car Glass
Natürlich eignen sich besondere Anlässe oder auch der Start einer neuen Kampagne dazu, echte kreative Highlights zu setzen. Nur ist deren Werbewirkung sehr beschränkt, wenn diese als einmalige Ausreißer enden oder eher die Bekanntheit der Marke nutzen, statt diese klar zu positionieren. So sollte man bei der Werbung nicht nur auf die Einmalwirkung, sondern vor allem auch auf die kumulative Wirkung der Spots in Summe achten.
Wie dies aus Markensicht gehen kann, zeigen etwa Sixt, Red Bull oder Car Glass, wobei aus rein kreativer Sicht natürlich Sixt ganz klar heraussticht. So hat man bei Sixt ein einzigartiges Kampagnenmuster gefunden, dass Aktualität und Konstanz im Sinne der Marke perfekt miteinander verbindet, ganz egal ob man auf Olaf Scholz, Prinz Harry, Annalena Baerbock, die Deutsche Bahn oder Alexa von Amazon abzielt.
Die Werbung von Red Bull hat vielleicht nicht den einen großen herausragenden Spot, dafür überzeugt diese durch ihre Konsequenz in der Markenführung. Seit 1987, also seit mehr als 35 Jahren verleiht diese Kampagne der Marke Red Bull im wahrsten Sinne des Wortes Flügel. Auch hier ist entscheidend, dass die Zeichentrickspots immer wieder im Sinne der Marke mit neuen Geschichten aufgeladen werden.
Bei Carglass wiederum mögen manche Kreative die Nase rümpfen, aber eines ist klar. Wer heute an Steinschlag beim Auto und damit an Scheibenreparatur oder Scheibentausch denkt, denkt mit Sicherheit an Carglass. „Carglass repariert, Carglass tauscht aus“ ist seit 2009 der Langzeitslogan und damit auch das Langzeitkampagnenthema.
Ricola, Hornbach und Fielmann
Umso spannender ist, dass Unternehmen immer wieder Kampagnen – oft sogar mit Kultcharakter – aufgeben, die über Jahre oder sogar Jahrzehnte Marken klar, eindeutig und wiedererkennbar positioniert haben. Nehmen Sie etwa Ricola! Wissen Sie, wie die aktuelle Werbekampagne aussieht oder der aktuelle Slogan lautet? Sehr wahrscheinlich nicht!
Aber viele erinnern sich noch an die „Wer hat’s erfunden“-Kampagne, die 1998 ihren Auftakt erlebte und die dann die Marke 15 Jahre lang nicht nur begleitete, sondern auch klar positionierte. Zu dieser Kampagne meinte der Verwaltungsratspräsident von Ricola Felix Richterich in einem Interview zum 80-Jahr-Jubiläum der Marke im Jahr 2010 gegenüber der GfM Schweizerische Gesellschaft für Marketing: „Wir hatten vor allem in Deutschland ein Problem. Dort lief ein Werbespot mit Alphorn-Klängen. Er kam antiquiert daher und ging den Leuten auf den Wecker. Gleichzeitig befanden wir uns in einem internen Diskussionsprozess darüber, wie man die Marke Ricola auffrischen sollte und konnte. 1998 beauftragten wir die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt/Alster mit einer neuen Kampagne. Der Spruch «Wer hat’s erfunden?» wurde lanciert und erreichte Kultstatus. So etwas kann man nicht planen. Auch nicht, dass wir dank dieser Kampagne unseren Umsatz markant steigern konnten.“
Heute stellt sich hier mit Sicherheit die Frage: „Wer hat’s aufgegeben?“ Diese Frage könnten sich aktuell, wie es aussieht, aber auch die Verantwortlichen bei Hornbach und Fielmann stellen. So stehen bei Hornbach auf einmal Buchstaben statt Projekte im Mittelpunkt und bei Fielmann wurden anscheinend die Testimonials samt dem Slogan „Brille: Fielmann“ endgültig in Pension geschickt.
Spannungsbogen Bestätigung und Neuigkeit
Starke Marken bewegen sich natürlich immer in einem Spannungsbogen zwischen Neuigkeit und Bestätigung. Das hat damit zu tun, dass unser Gehirn – übervereinfacht ausgedrückt – genau diese zwei Dinge wirklich liebt, nämlich (1) Neuigkeiten und (2) Bestätigung. Nur genau das verführt viele Werber dazu, sich immer wieder neu zu erfinden statt Bestehendes neu zu inszenieren. Übersehen wird dabei aber, dass für unser Gehirn Umlernen schwieriger ist als Neulernen.
Genau aus diesem Grund erinnern sich viele von uns etwa immer noch an die „Wer hat’s erfunden“-Kampagne von Ricola. Diese setzte damals einen neuen Standard für die Marke und wurde Kult. Heißt: Wenn eine Marke unklar oder gar veraltet in der Wahrnehmung der Kunden positioniert ist, sollte man natürlich neuen kreativen Schwung bringen. Nur sollte man dann diesen Schwung nicht selbst killen und durch Belanglosigkeiten ersetzen. Dazu noch eine nette Werbeanekdote aus dem Buch „Adcult USA” von James Twitchell über Werbelegende Rosser Reeves. Ein Verantwortlicher der Marke Minute Maid beschwerte sich einst mit folgenden Worten bei Reeves, weil der sich weigerte an der Werbung der Marke zu basteln: „47 Leute Ihrer Agentur arbeiten an meiner Marke und Sie haben die Kampagne in den letzten 12 Jahren nicht verändert. Was bitte machen die?“ Die prompte Antwort von Reeves: „Sie sind vollauf damit beschäftigt, Ihre Leute davon abzuhalten, die Werbung zu verändern.“ Fazit: Hyperkreative und oft auch hochemotionale Werbespots mögen kommen und gehen, starke konsequente Markenkampagnen bestehen.
Erschien im Original auf Horizont.net