Letzten Freitag durfte ich folgende Headline in einem Newsletter eines deutschen Werbemagazins lesen: „Wie die Marke über den Purpose triumphiert“. Spontan sprach mir diese Headline wirklich aus der Seele, weil – wie auch meine Beratungspraxis zeigt – viele Purpose-Formulierungen dasselbe Schicksal erleiden wie früher viele Leitbilder. Man hat den Purpose zwar mit viel Aufwand und Energie kreiert oder definiert, aber er hat wenig bis keine Auswirkung auf das Unternehmen selbst, weder extern noch intern.
Der fehlende rote Faden
Dabei sollten aber Marke und Purpose keine Wettbewerber sein, bei denen das eine Konzept über das andere triumphiert, sondern im Sinne des Unternehmens perfekt zusammenspielen. Nur dazu braucht es ein verbindendes Element, das sicherstellt, dass die Markenwerte und der ausformulierte Purpose inhaltlich aufeinander einzahlen und sich gegenseitig verstärken.
Gleichzeitig sollte dieses verbindende Element aber auch sicherstellen, dass das Unternehmen damit einen echten Wettbewerbsvorsprung erzielt. Denn eines sollte jedem klar sein: Wer heute in diesem Wettbewerbsumfeld, das aktuell von mehreren Krisen gekennzeichnet ist, nur ein weiterer Anbieter unter vielen ist, braucht sich mangels echter Zukunftsperspektiven nicht sehr viele Gedanken bzgl. Purpose und Markenwerten machen.
Positionierung, Purpose und Markenidentität
Damit sind wir bei einem aus meiner Warte extrem wichtigen Punkt: Jedes Unternehmen kann für sich intern festlegen, dass man einen Purpose definieren muss, und dass man eine starke Marke bauen möchte. Nur ob man wirklich eine echte Marke wird, entscheidet sich (leider) nicht intern im Unternehmen, sondern letztendlich nur und nur in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden.
Nehmen Sie etwa den Markt für Videostreaming in Deutschland. Laut JustWatch lagen im 4. Quartal 2023 Amazon Prime und Netflix mit jeweils 30 Prozent Marktanteil an der Spitze, gefolgt von Disney+ (20 Prozent), WOW (7 Prozent), Apple TV+ (6 Prozent) und Paramount+ (4 Prozent). Dahinter folgen dann die anderen Anbieter, die sich in Summe mit 3 Prozent begnügen müssen.
Jetzt aber der wichtige Punkt: Jeder dieser Anbieter kann einen Purpose definieren. Jeder dieser Anbieter kann eine Markenidentität für sich festlegen. Aber nicht jeder kann eine Führungsposition einnehmen. Der Erfolg von Amazon Prime und Netflix liegt vor allem daran, dass man sich frühzeitig als führend in der Wahrnehmung der Kunden positionieren konnte. Sie denken Videostreaming. Sie denken Netflix, Amazon Prime und vielleicht Disney+.
Heißt: Im Gegensatz zu den Konzepten Purpose und Markenidentität ist das Konzept Positionierung eines, das in jeder Kategorie nur einen echten Sieger und vielleicht noch einen oder zwei echte Herausforderer zulässt. Genau deshalb ist oft so wichtig, aber gleichzeitig schwierig diese eine Erfolgsposition für die eigene Marke zu finden. So scheitern letztendlich viele Marken – trotz Purpose und Markenidentität – kläglich, weil man nur als weitere Marke unter vielen in der Wahrnehmung der Kunden endet, ohne je wirklich im Gedächtnis abgespeichert zu werden.
Gegen die klassische Theorie
In der klassischen Markentheorie definiert man zuerst den Purpose, dann entwickelt man die Markenidentität, um dann aus dieser die Positionierung abzuleiten oder zu verdichten. Wir empfehlen einen anderen Weg. Wir empfehlen, dass man zuerst die Positionierung entwickelt, um dann daraus den Purpose und die Markenidentität, sprich die zentralen Markenwerte abzuleiten. Damit wird die Positionierung nämlich zum echten roten Leitfaden, vom Purpose über Vision, Mission, Markenidentität bis hin zur konkreten Umsetzung im Tagesgeschäft. Denn nur und nur so kann man auch sicherstellen, dass man nicht nur auf dem Hochglanzpapier, im Imagefilm und in den Präsentationen eine starke Marke ist, sondern auch – dort wo es wirklich ankommt – nämlich in der Wahrnehmung und im Gedächtnis der Kunden.
