Markenführung der Zukunft: Vollgas ab in die Mitte des Marktes oder doch nicht

Wo ist das größte Umsatzpotenzial für die Zukunft zuhause? Das findet man, wenn man der herkömmlichen Meinung folgt, natürlich in der Mitte des Marktes. So ist es auch nicht verwunderlich, dass die meisten Marken genau auf diese Mitte abzielen. Nur wenn man Märkte sehr langfristig beobachtet, erkennt man schnell, dass die wahren Plätze an der Sonne am Rand des Marktes liegen.

Die Mitte immer öfter in der Zange

So durfte ich 2008 für die Marketingzeitschrift Absatzwirtschaft einen Blick in die Markenzukunft werfen. Der Titel meines Artikels, der im Heft 8/2008 erschien war, lautete: „Das Ende der guten Marken“. In diesem Artikel beleuchtete ich unter anderem auch die deutsche und europäische Automobilindustrie.

Damals schrieb ich: „Aus dieser Sicht betrachtet haben auch die derzeitigen Marken- und Unternehmensstrategie der drei großen traditionellen Automarken in Deutschland, nämlich VW, Ford und Opel ein Ablaufdatum. Noch mögen sich diese Marken – allen voran natürlich VW – mit den derzeitigen Erfolgen und Marktanteilen wohl fühlen. Wo aber ist die echte Zukunftsperspektive?

VW, Opel und Ford sind heute die Anbieter in der Mitte. Und wie es aussieht, wird es in der Mitte immer enger. So ist – aus dieser Perspektive betrachtet – die große Hoffnung oder der große Hoffnungsträger für den VW-Konzern sicher die Marke Audi, die im oberen Segment positioniert ist, und so globales Potential hat. Für Opel und Ford sieht es – langfristig betrachtet – noch schlimmer aus. Beide Marken sprechen nicht nur die Mitte an, sondern befinden sich in dieser Mitte auch noch im unprofilierten Mittelfeld.

Das doppelte Problem der guten Mitte

Das doppelte Problem der Mitte ist dabei, dass a) die Mitte in der Regel kein oder meist nur wenig internationales Ausweitungspotential zulässt, und b) dass man selbst enormes Angriffspotential bietet. Der Grund dafür ist einfach: Märkte entstehen in der Regel in den einzelnen Länder im Massenmarkt, also in der Mitte parallel. So hat Deutschland VW, Opel und Ford, während etwa Frankreich Renault, Citroen bzw. Peugeot und Italien Fiat hat. Invasoren haben so in der Regel nur am oberen bzw. unteren Rand des Marktes eine Chance. So sind die wahren globalen Automarken (mit einer Ausnahme, nämlich Toyota) in der Regel am oberen bzw. am unteren Ende des Marktes positioniert.

Aber auch Toyota startete seinen globalen Erfolgsfeldzug nicht als Marke in der Mitte, sondern als Herausforderer am unteren Ende der Preisskala. Nur mit einer konsequenten Markenpolitik rund um die Idee „zuverlässig“ stieg man zu der weltweit führenden Marke in der Mitte auf. So gibt es heute außer Toyota keine wirklich globale Automarke in der Mitte.“ Soweit zu dem, was ich damals schrieb.

Das Megaduell heute und der Sieger von morgen

Trotzdem gehen heute viele Automobilexperten davon aus, dass es im Bereich Automarken zum großen „Showdown“ zwischen VW und Toyota kommen wird. Wer dieser beiden Marken wird die globale Nr. 1 werden? Aus strategischer Markensicht lautet die Antwort: „Hyundai.“ VW und Toyota sind in der Mitte des Marktes. Hyundai ist am Rande des Marktes.

So gingen auch viele Experten in der Luftfahrtindustrie davon aus, dass es in Europa zu einem „Showdown“ zwischen British Airways und Lufthansa kommen würde. Heute ist Ryanair dabei der große Sieger im Kampf um die Passagiere zu werden.

Noch vor wenigen Jahren war klar, dass sich Media-Markt und Saturn den Elektromarkt aufteilen werden. Daneben würde es noch kleinere Fachhändler und einige Premiumanbieter geben. Heute bedroht das Internet Media-Markt und Saturn. Das Interessante dabei: Früher waren Media-Markt und Saturn selbst Marken am Rande, die gegen die gute Mitte, den klassischen Elektrofachhändler antraten. Durch das Internet wurden Media-Markt und Saturn auf einmal mental in Richtung Mitte verschoben. Der neue Rand sind Internetanbieter wie Amazon oder Redcoon.

Kurz- und mittelfristig sieht immer die Mitte des Marktes wie der optimale Platz an der Sonne aus. Langfristig betrachtet sollte man eine Position am Rande des Marktes anstreben. Dabei muss man aber zwei Arten von Randmarken unterscheiden, nämlich Randmarken mit Wachstumspotenzial in Richtung Mitte bzw. Randmarken mit Nischenpotenzial am Rande.

Hyundai oder Ryanair sind Randmarken mit Wachstumspotenzial in Richtung Mitte. So muss speziell auch Hyundai einmal befürchten, dass man selbst wieder vom Rande attackiert wird. (Vielleicht sogar einmal von einem e-Auto-Anbieter.) Klassische Randmarken wiederum sind etwa Premiummarken wie Mercedes-Benz, BMW oder Audi. Auch Volvo ist etwa eine klassische Nischenmarke bei Automobilen, die am oberen Rande des Marktes das Thema „Sicherheit“ besetzte und gerade noch besetzt.

Von der Nische ins Nirwana

Aber auch viele Nischenanbieter am Rande wollen aus Wachstumsgründen in Richtung „Mainstream“. Die Mitte des Marktes wirkt anscheinend auch auf diese Nischenmarken wie ein Magnet, dessen Anziehungskraft man sich nur schwer entziehen kann. Das gilt auch für Volvo.

So schrieben die Oberösterreichischen Nachrichten am 7. Dezember 2012: „Die Fahrzeuggattung Kombi spielt beim schwedischen Autobauer Volvo seit jeher eine große Rolle. Groß waren dabei stets die Laderäume, in denen halbe Wohnungseinrichtungen verschwanden. Wer in früheren Jahren Zugang zu einem Volvo 740 Kombi oder 850 Kombi hatte, musste weder Umzug noch Möbelhausbesuch fürchten. Und eine ausgiebige Urlaubsfahrt mit Kind und Kegel schon gar nicht. Dazu kam dieses wunderbar schnörkellose und einfache Karosseriedesign, bei dem die Kante den Ton angab.“

Das alles ist Geschichte. Damals dominierte Volvo die Sicherheits- und Familiennische im Premiumbereich. Heute wird Volvo vom Design – nicht vom Image – den Marken BMW und Audi immer ähnlicher und stößt auch mit kleineren Modellen immer mehr in Richtung Mitte vor.

Volvo möchte so die Marke breiter aufstellen, um auch neue Kundengruppen jenseits der Volvo Stammkunden zu gewinnen. Nur damit begibt man sich in eine gefährliche Mitte, nämlich ins Markennirwana. So ist es auch kein Wunder, dass Volvo Jahr für Jahr weniger Autos verkauft. Man spricht die Volvo-Kunden nicht mehr wirklich an und die potenziellen Neukunden bleiben aus. Wo ist der neue USP, warum man sich ausgerechnet einen Volvo kaufen sollte? Volvo gibt zurzeit die mentale „Sicherheitsnische“ auf, ohne diese durch ein neues Konzept zu ersetzen. Das ist keine gute Idee. Viel besser wäre es, die Sicherheitsnische weiter zu besetzen, um diese dann zu vergrößern.

Implikationen für die Markenführung der Zukunft

Viele Unternehmen sind heute mit ihren Marken viel zu sehr auf die Mitte des Marktes fokussiert. Sie versuchen dort mit immer mehr Produkten und Varianten zu punkten. Die wahren Chancen – speziell auch unter dem Gesichtspunkt der Globalisierung – liegen aber so gut wie immer am Rande des Marktes. Dort findet man die Ideen für die Zukunft, die auch wirklich profitables (internationales und globales) Wachstum versprechen.

Das bedeutet heute für Unternehmen, die neu am Markt einsteigen, dass man die eigene Marke unbedingt am Rande positionieren sollte. Das bedeutet für Unternehmen, die heute starke Marken in der Mitte des Marktes besitzen, dass man selbst am Rande wieder neue Marken bauen sollte. Wo liegt der Fokus Ihrer Marke(n)? Versuchen Sie in der Mitte des Marktes mit aller Gewalt doch noch ein wenig zu wachsen, oder aber suchen Sie am Rande des Marktes nach dem großen Wachstumspotenzial der Zukunft?

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4 Antworten zu Markenführung der Zukunft: Vollgas ab in die Mitte des Marktes oder doch nicht

  1. Das positive Gegenbeispiel zu Volvo ist Range Rover, die ohne ihre Nische zu verlasssen mainstreamiger werden,, eine persönliche Note behalten und trotzdem ein breiteres Publikum ansprechen. In einer Zeit wo andere Hersteller schwächeln wird es bei Range Rover auch nachhaltig zweistellige Zuwachsraten geben.

  2. michaelbrandtner schreibt:

    Range Rover hatte natürlich auch mit „das Glück des Tüchtigen“, weil es diesen Trend zu SUVs gab und gibt.

    Aber wie würde Volvo heute dastehen, wenn Volvo statt Coupes und Cabrios zu produzieren, frühzeitig auf SUVs gesetzt hätte. Was passt besser zu Sicherheit und Familie als ein SUV mit Allradantrieb? Volvo stieg viel zu spät in den SUV-Markt, vor allem in den USA ein.

  3. Griesmayr schreibt:

    Danke. Wie immer exzellent!
    Ein gutes Beispiel, sich nicht in der Mitte zu tummeln, ist gewiss die VAV. Wir arbeiten täglich daran, anders zu sein als der Mainstream (kein eigener Vertrieb, vom Grundsatz her andere Tarife usw.) – es ist aber irre schwer, das sichtbar zu machen.
    Sie schärfen stets meinen Fokus.

    Ihr
    N. Griesmayr

    • michaelbrandtner schreibt:

      Sehr geehrter Herr Dr. Griesmayr,

      vielen Dank für Ihren Kommentar zu meinem Blog-Beitrag und vor allem für die netten Worte!

      Speziell der Vertriebsweg Internet wird noch viele Alles-für-alle-über-jeden-Vertriebskanal-Versicherer vor große Herausforderungen stellen. Hier ist die VAV sicher im Vorteil, egal wie sich die Zukunft entwickeln wird.

      Beste Grüße nach Wien

      Michael Brandtner

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