Wenn man die aktuellen Medienberichten verfolgt, entsteht bei vielen der Eindruck, dass Wahlerfolg oder auch Wahlmisserfolg vor allem davon abhängt, wie gut oder wie schlecht Parteien Facebook oder besser die sozialen Medien in Summe beherrschen. Es scheint, dass es vor allem um Campaigning und Dirty Campaigning geht. Natürlich sind das wichtige Elemente eines Wahlkampfes. Nur hilft das beste Campaigning oder Dirty Campaigning nichts, wenn die Strategie und vor allem auch das Timing dahinter nicht stimmen. Das zeigte auch dieser Nationalratswahlkampf.
So hatten wir bis vor kurzem drei „gleiche“ Parteien, die sich Gedanken machen durften, den nächsten Bundeskanzler als stimmenstärkste Partei stellen zu dürfen, nämlich SPÖ, ÖVP und FPÖ. Nur mit Gleichheit gewinnt man keine Wahl. Vielmehr geht es darum, im Wettbewerb als positiv wahrgenommener Marktführer herauszustechen. Das gilt für die Welt der Marken und für die der Welt der Parteien oder Bewegungen. Manche denken jetzt vielleicht spontan an iPhone, Red Bull und Sebastian Kurz. Und damit kommen wir zu einem Drama in fünf Akten.
Akt 1: Django reitet in die Stadt
Den ersten Akt setzte die ÖVP, als man Michael Spindelegger durch Django, also durch Reinhold Mitterlehner ersetzte. Was man dabei übersah, war der Faktor Timing. Damit sind wir auch bei einem wesentlichen Punkt, der herkömmliches Marketing von Politmarketing unterscheidet. Im herkömmlichen Marketing findet der Kampf um die Kunden tagtäglich statt. Im Politmarketing gibt es Stich- oder besser Wahltage, die an einem Tag über mehrere Jahre, sprich über jeweils eine Wahlperiode entscheiden. Wenn man hier den Spitzenkandidaten zu früh austauscht, ist der positive Effekt bis zum Wahltag meist „verflogen“. Diese Erfahrung musste Reinhold „Django“ Mitterlehner in Österreich genauso wie Martin Schulz in Deutschland machen. Heißt es generell: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, heißt es in der Politik: Wer zu früh kommt, den bestraft das Wahlvolk.
Akt 2: Plan A soll Österreich retten
Den zweiten Akt setzte die SPÖ mit Christian Kern, der Werner Faymann ablöste. Auch hier war das Timing alles andere als optimal. Nur Christian Kern präsentierte nach einer fulminanten Antrittsrede auch noch einen Plan A für Österreich. Damit setzte er doppelt auf Leadership, nämlich auf persönliche und auf inhaltliche. Nur dann hätte er das Timing selbst in die Hand nehmen müssen, um Österreich über diesen Plan A abstimmen zu lassen. Heißt: Er hätte Neuwahlen ausrufen müssen. Davor schreckte er – aus welchen Gründen auch immer – zurück. Trotzdem baute er weiterhin im Vergleich zum Koalitionspartner ÖVP seine Leadership weiter aus.
Akt 3: Der neue König der Umfragen
Nur parallel in den Umfragen setzte sich immer mehr die FPÖ, auch beflügelt durch den Fastsieg von Norbert Hofer bei der Bundespräsidentenwahl durch. So gesehen war die FPÖ auf einmal nicht nur in der gewohnten Herausforderer-Position, sondern auf einmal auch in einer Art Marktführer-Position. Nur beide Positionen kann man nicht gleichzeitig besetzen. Dies merkt man aktuell auch bei Heinz-Christian „HC“ Strache in den Fernsehdiskussionen. Man hat den Eindruck, dass er sich selbst nicht sicher ist, ob er auf seriösen Staatsmann oder aggressiven Herausforderer machen sollte.
Akt 4: Django geht, die Bewegung kommt
Den vierten Akt läutete Reinhold Mitterlehner selbst mit seinem Rücktritt ein. Nur Sebastian Kurz ließ sich dann nicht wählen, sondern übernahm sofort aktiv das Ruder in der ÖVP, indem er von Anfang an klare Bedingungen stellte. Das ging und geht so weit, dass er aus der Traditionspartei ÖVP die Bewegung der neuen ÖVP gemacht hat. Damit setzt er ganz klare Signale von Leadership und drängte gleichzeitig Christian Kern und auch HC Strache in die Defensive. Er wirkte und wirkt dabei ähnlich wie das iPhone für Apple. Damit passierten zusätzlich zwei Dinge: (1) Er wird von vielen ganz klar als der Hoffnungsträger für die ÖVP und auch für Österreich wahrgenommen. Er steht auf einmal als der Retter da, der Österreich von der erstarrten Politik von SPÖ und alter ÖVP retten will. (2) Er bringt, wie es aussieht, die angedachten Wahlkampfstrategien von SPÖ und FPÖ komplett durcheinander. Die SPÖ verliert dabei sogar doppelt ihren angedachten Führungsanspruch als Leader in der Koalition und als stimmenstärkste Partei im Parlament. Sie wird auf einmal eher als das Sinnbild des Stillstands in der großen Koalition wahrgenommen. Der FPÖ wiederum geht das Angriffsziel der großen Koalition verloren, da es diese seit Sebastian Kurz nicht mehr so wie früher gibt.
Akt 5: Showdown in Österreich City
Beide Parteien, also sowohl SPÖ als auch FPÖ versäumen es, ihre Wahlkampfstrategien wirklich neu auszurichten. Dazu sollten wir uns die beiden größten Fehler jeweils von SPÖ und FPÖ aus Strategiesicht ansehen: Der größte Fehler der SPÖ war dabei nicht dieser dilettantische Wahlkampf inklusive der Affäre rund um Tal Silberstein. Der größte Fehler war, dass man nach dem Plan A nicht selbst Neuwahlen ausrief, sondern dies dann letztendlich Sebastian Kurz überlassen hat. Damit war das Prinzip Leadership für die SPÖ verloren. Der größte Fehler der FPÖ war, dass man keine neue Strategie speziell gegen Sebastian Kurz fand. Dabei hätte man sogar eine bereits vorhandene Diskussion nutzen können, nämlich ob HC Strache oder Norbert Hofer als Spitzenkandidat hätten antreten sollen. Die einfache Antwort darauf wäre „beide“ gewesen. Mit einer erfahren en Doppelspitze hätte man auch ein starkes Gegenargument gegen einen einzelnen Newcomer gehabt. So aber wird, wie es aussieht, das Prinzip Hoffnung und damit klar Sebastian Kurz gewinnen, denn gegen diese Leadership sehen aktuell alle anderen Parteien im wahrsten Sinne des Wortes alt aus.
Erschien im Original am 9. Oktober 2017 auf fischundfleisch.com
Herr Brandtner, wir beide sind ja Absolventen einer bekannten Wirtschaftsuni und eines berühmten Professors. Insofern verstehe ich Ihren Begriff „Marktführerschaft“ selbst im Bereich Politik -;) Wer mit Politik-Insidern spricht, merkt:
(1) Für die SPÖ (in Österreich) ist es eine absolute Katastrophe, am 15. Oktober 2017 die Nr. 1-Position verloren zu haben
(2) Für die CSU (in Bayern, Deutschland) wird es als absolute Katastrope gesehen, im Herbst 2018 die absolute Mehrheit zu verlieren.
Insider in beiden Parteien nennen „gravierende strategische und taktische Fehler in der Parteispitze“ als Grund für den bitteren Verlust der einst so klaren Vormachtstellung.