Unsere Welt, vor allem unsere Wirtschaftswelt ist von einem geprägt, nämlich von Wachstum. Dabei geht es nicht nur um das Wachstum in Zahlen, sondern vor allem auch um das Wachstum in Auswahlmöglichkeiten. So leben wir heute wirklich in einer Über-Überflussgesellschaft, in der es aus Kundensicht von allem und jedem zu viel gibt, nämlich zu viele Produkte und Dienstleistungen, zu viele Marken, zu viele Unternehmen, zu viele Medien und vor allem viel zu viel Marketinglärm, egal ob analog oder digital.
Den Fokus verengen
Wie aber sollten Unternehmen – strategisch gesehen – mit dieser Ausgangssituation, die sich in Zukunft alleine aufgrund der Kreativität der Menschen und der digitalen Möglichkeiten weiter verschärfen wird, umgehen? Wenn man sich das Verhalten der meisten Unternehmen ansieht, dürfte die eine Antwort sein, dass man auf dieses „Zuviel“ mit noch mehr agiert und reagiert.
So sind heute viele Marken- und Marketingprogramme von „Mehr“ geprägt: mehr neue Produkte, mehr neue Zielgruppen, mehr neue Vertriebskanäle, mehr neue Preisaktionen und natürlich mehr neue Wege, um die Kunden digital zu erreichen und zu binden. Und natürlich erscheint es logisch, dass „mehr“ dann natürlich auch „mehr“ bedeutet. Das Ganze hat nur zwei Haken: (1) Je breiter man die eigene Marke aufstellt, desto mehr verliert diese an Profil. (2) Je breiter man eine Marke aufstellt, desto mehr Angriffsfläche bietet man spezialisierteren Konkurrenten mit einem engen oder engeren Fokus.
Dazu kommt: Wenn man die Geschichte von Marken studiert, dann schafften diese ihren Durchbruch in der Regel nicht, indem sie mehr anboten, sondern indem sie ihren Fokus verengten. Nehmen Sie etwa Strasser Steine! Vor nicht allzu langer Zeit war Strasser ein weiterer Natursteinanbieter in Oberösterreich mit mehreren Geschäftsfeldern und massiv in der Krise. Mit der Übernahme durch Johannes Artmayr begann die klare Refokussierung und damit auch Repositionierung auf Natursteinküchenarbeitsplatten. Mit dieser Spezialisierung eroberte man nicht nur die klare Marktführerschaft in Österreich, man legte so auch die Basis für die aktuelle internationale Expansion.
Den Fokus dramatisieren
Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt. Es ist natürlich zu wenig, dass man den eigenen Fokus verengt. Das ist nur der erste Schritt. Der zweite Schritt ist es dann, diesen Fokus am Markt wichtiger zu machen, also diese Verengung des Fokus zu nutzen, um dann damit zu expandieren.
Dabei sollte man unbedingt zwei Aspekte immer im Auge haben, nämlich die Digitalisierung und die Globalisierung. So erlaubt das Internet auf der einen Seite eine Spezialisierung, wie diese bisher nicht möglich war. Gleichzeitig erlaubt das Internet auch eine Globalisierungsgeschwindigkeit, wie diese bisher nicht möglich war.
Während diese beiden Entwicklungen für viele „digital Natives“ unter den Unternehmen enorme Chancen bedeuten werden, wird dies für viele bestehende analoge Marken, vor allem für viele bestehende analoge Dachmarken ein enormes Problem in Zukunft darstellen. Denn durch diese Fokussierungsmöglichkeiten des Internets wird der Wettbewerbsdruck für viele breite Dachmarken noch einmal massiv verstärkt. So erklärte auch Mondelez-Vorstandschef Dirk Van de Put kürzlich im Handelsblatt: „Die Tage einer großen Marke, die alles abdeckt, sind vorbei.“
Verschärfend kommt noch eines dazu: Immer öfter treffen dann im Wettbewerb globale Geschäftsmodelle auf nationale oder sogar nur regionale Geschäftsmodelle. Nehmen Sie etwa die Welt der Medien als nur ein Beispiel. Klassisches Fernsehen und klassisches Radio waren bisher vor allem nationale oder sogar nur regionale Geschäftsmodelle, wie alleine die vielen Fernseh- und Radiosender in Deutschland und Österreich zeigen. Ganz anders die Welt des Streamings. Hier dominieren heute globale Marken wie Netflix oder Spotify.
Mentalitätswechsel gefordert
Nur das wird in vielen Fällen auch einen Mentalitätswechsel beim Management verlangen. Das gilt vor allem für die Manager von großen Marken, die es gewohnt waren und sind, mit ihren guten Marken so gut wie alle zu erreichen. Fazit: Je unfokussierter die Welt generell wird, desto fokussierter sollte die eigene Marken- und Marketingstrategie werden. So einfach in der Theorie. Oft so unendlich schwer in der Praxis.
Mehr dazu auch in meinem neuen Buch „Markenpositionierung im 21. Jahrhundert“, das Mitte/Ende September dieses Jahres erscheinen wird.