Wir leben aktuell mit Sicherheit in einer Welt des Wandels. Dafür sind vor allem zwei „Motoren“ mitverantwortlich, nämlich die Globalisierung und die Digitalisierung. Damit stellt sich aber auch die Frage, wie Unternehmen mit diesem Wandel umgehen sollten. Dabei fällt auf, dass viele Unternehmen, vor allem auch viele große Unternehmen oder besser Konzerne ein zwei-geteiltes und nicht ungefährliches Muster haben, wie man auf Veränderungen reagiert.
Teil 1: Negieren oder die Vergangenheit bewahren
Als Steve Jobs 2007 das erste iPhone präsentierte, war die erste Reaktion von Nokia, dass man diese Entwicklung „klein“ redete. Das ist nicht untypisch. Dazu meinte einmal der Ökonom John Kenneth Galbraith: „Wenn man vor der Wahl steht, seine Meinung zu ändern oder zu beweisen, dass kein Anlass besteht, macht sich fast jeder an die Suche nach den Beweisen.“
Als Al Ries und Jack Trout im Jahr 1980 Ken Olsen, dem Gründer und damaligen CEO von DEC (Digital Equipment Corporation) empfahlen, vor IBM einen Business-PC zu lancieren, lehnte er dies mit zwei Argumenten ab: (1) Der PC werde sich in der Geschäftswelt nicht durchsetzen. (2) Sollte er sich doch wider aller Erwartungen durchsetzen, werde er IBM mit einem besseren PC schlagen. Der Rest ist Geschichte. IBM stieg zum Weltmarktführer bei PCs auf. DEC endete als Teil von Compaq und Compaq später als Teil von HP.
Teil 2: Überreagieren und die Fehler der Vergangenheit überkompensieren
Als man bei Nokia dann erkannte, dass sich das iPhone und damit auch das Smartphone auf breiter Front durchsetzen werde, reagierte man mit einer wahren Flut an neuen Modellen. So lancierte Nokia bis zu 60 neue Smartphone- und Mobiltelefonmodelle pro Jahr. Als man bei DEC erkannte, dass sich der PC in der Geschäftswelt durchsetzen werde, lancierte man nicht eine, sondern gleich drei Modellreihen, um die Vorherrschaft von IBM zu beenden.
Nur mehr Modelle aus der Not heraus bedeuten in der Regel nicht mehr Erfolg. Was sowohl Nokia als auch DEC gebraucht hätten, wäre ein echtes Erfolgsmodell gewesen. Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt: Es geht nicht darum, dass man den Kunden viele Modelle bietet, es geht darum, dass man ein Modell hat, das die Kunden wirklich wollen.
VW und die Elektromobilität
Wenn man sich aktuell dazu das Verhaltensmuster von VW in der Elektromobilität ansieht, wird man sowohl an Nokia als auch an DEC erinnert. Zuerst einmal „negierte“ man diese Entwicklung. So hieß es etwa am 8. Juli 2013 auf Autozeitung.de: „Zu wenig Reichweite, zu teuer: Laut VW-Chef Winterkorn bleiben Elektroautos für die meisten Privatkäufer auf absehbare Zeit uninteressant“. Diese und weitere ähnliche Aussagen aus der VW-Chefetage dürften sicher ein wesentlicher Mitgrund gewesen sein, warum man die Entwicklung der E-Mobilität bei VW bisher nicht stärker vorantrieb.
Jetzt aber dürfte es zu einem radikalen Umdenken im VW-Konzern gekommen sein. Mit einem neuen Logo und einem Rebranding möchte man zum Weltmarktführer in der Elektromobilität werden. Bis 2025 sollten so eine Million E-Fahrzeuge von VW auf den Straßen fahren. Zudem verkündete man bereits im Frühjahr 2019, dass in den kommenden zehn Jahren 22 Millionen Elektroautos gebaut werden sollen und knapp 70 neue Elektroautomodelle auf dem Plan stehen.
Das eine Erfolgsmodell als Markenbasis
Nur was VW aktuell wirklich brauchen würde, ist ein elektrisches Erfolgsmodell, das die Basis für eine neue Marke im Konzern schaffen könnte. VW bräuchte heute eine Art „iPhone“ oder „Samsung Galaxy“, um dann Schritt für Schritt die Elektromobilität voranzutreiben. Nur dazu bräuchte dieses Modell eine einzigartige Positionierung und zusätzlich einen Modellnamen, der in späterer Folge auch als eigenständiger Markenname funktionieren könnte. So gesehen hat es die Konzerntochter Audi mit dem e-tron etwas besser gemacht. Nur leider hat man es dort aus Markensicht versäumt, dem e-tron ein eigenständiges Gesicht zu geben.
Fazit: Mit dem bestehenden Mehr-Marken-System hätte VW die optimale Markenbasis für die automobile Zukunft. Nur wie es aussieht, nutzt man diese nicht oder im besten Fall suboptimal. So ist der Name VW ID aus Markensicht viel zu schwach. Zudem sieht er, wie es aussieht, viel zu sehr nach einem weiteren VW aus. So gesehen könnte auch das aktuelle Rebranding der Marke letztendlich als nette Kosmetik ohne echte Substanz enden.
Mehr dazu auch in meinem neuen Buch „Markenpositionierung im 21. Jahrhundert“, das im September erscheinen wird.