Veggie-Burger-Debatte oder die große Chance für Veggie-David gegen Fleisch-Goliath

„EU-Parlament will Namen wie „Veggie-Wurst“ verbieten“, „Streit um Veggie-Burger: EU-Parlament stimmt für Namensverbot“ oder „Drohender EU-Entscheid: Steht das Veggie-Schnitzel vor dem Aus?“. So lauteten nur einige Schlagzeilen, nachdem das EU-Parlament am 8. Oktober dieses Jahres über das mögliche zukünftige Namensschicksal von Fleischersatzprodukten entschieden hat.

Dazu schrieb die FAZ unter der Schlagzeile „Entscheidung des EU-Parlaments:

Don’t call it Schnitzel“ das Folgende: „Ob Burger, Steak oder Wurst: Geht es nach dem EU-Parlament sollen diese Bezeichnungen künftig allein Produkten aus Tierfleisch vorbehalten sein. Nun bestimmen die EU-Staaten darüber, ob das Verbot kommt.“

Das richtige strategische Feindbild wählen

Wie es aussieht, gibt es in Europa eine Fleisch- und Wurstlobby, die sich vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte als strategisches Feindbild auserkoren hat. Diese Art der Strategie kann enorm Sinn machen, wenn man sich das richtige Feindbild aussucht.

Aber Vorsicht! Viele denken vielleicht spontan beim Begriff „Strategisches Feindbild“, dass es darum geht, einen Konkurrenten wie etwa beim „Dirty Campaigning“ in der Politik schlecht zu machen. Nur genau darum geht es bei diesem Konzept nicht. Es geht darum, einen mentalen Aufhänger zu finden, an dem die eigene Marke wachsen kann. Das kann natürlich der Mitbewerb sein, das kann aber auch eine Idee oder ein Konzept sein oder es kann auch eine Alltagstätigkeit sein.

Für Sodastream war dies etwa das schwere Kistenschleppen. Der Slogan „Einfach sprudeln, statt schwer schleppen!“ brachte diesen Ansatz nicht nur perfekt auf den Punkt, sondern positionierte Sodastream auch klar als den führenden Wassersprudler.

Oder nehmen Sie Dr. Best! Dr. Best wählte sehr geschickt „starre Zahnbürsten“ als strategisches Feindbild, um so die Idee der nachgebenden Zahnbürste relevant und wichtig zu machen. So stieg der Marktanteil von 1988 mit 6 Prozent auf über 40 Prozent im Jahr 2000. Heute, als Marktführer hat man ein neues strategisches Feindbild, nämlich „das zu seltene Wechseln der Zahnbürsten“. Jetzt ist also die alte Zahnbürste, die schon längst ausgewechselt werden müsste, der neue Feind in der Kommunikation.

Drei wichtige strategische Punkte

Aber man sollte speziell auf drei Punkte achten, wenn man auf diese Strategie des strategischen Feindbilds setzt:

(1) Der strategische Feind sollte groß sein und damit das mögliche Marktpotenzial widerspiegeln.

(2) Der strategische Feind sollte in den Augen der Kunden präsent und relevant sein.

(3) Der strategische Feind sollte sich nur schwer gegen die eigene Idee wehren können.

Speziell der erste Punkt ist von größter Bedeutung. Man sollte nie ein kleineres Feindbild medial wichtiger machen. Und aus dieser Warte betrachtet könnte diese so ausgelöste Veggie-Burger-Debatte zum echten Bumerang für die Fleisch- und Wurstindustrie werden. Alleine die aktuellen Schlagzeilen zeigen nicht nur das enorme PR-Potenzial für die Veggie-Szene, sondern auch das Risiko, dass sich die Fleisch- und Wurstindustrie gemeinsam mit dem europäischen Parlament in der Öffentlichkeit lächerlich macht.

Aufgelegter Elfmeter für die Veggie-Szene

Aber speziell die Erzeuger von diesen Fleischersatzprodukten könnten gemeinsam mit deren PR- und Werbeagenturen das auch als Vorlage für kreative Kampagnen nutzen, um dieses PR- und Werbepotenzial mit Sprachwitz zu verstärken. Das gilt speziell auch für den Zeitraum, in dem man mit Sicherheit noch diese Begriffe wie Burger, Schnitzel oder Wurst in der EU verwenden darf.

Zudem könnte man aber auch Verbündete ins Boot holen, die generell den zu hohen Fleisch- und Wurstkonsum anprangern. Das könnte dann zu Headlines wie diesen führen:

Veggie-Debatte: Ernährungsexperten warnen vor zu hohem Fleischkonsum

Themenverfehlung Veggie-Debatte: Ärzte sprechen sich gegen zu viel Fleisch und Wurst aus

Veggie-Burger im EU-Parlament: Mehr Umweltschutz statt Fleischkonsum

Hier könnte aktuell die Veggie-Lobby klar überlegen, wie man diese Debatte neu und anders fortsetzen könnte. Credo dabei: Statt über Namen zu diskutieren, sollte sich das EU-Parlament mit Gesundheit und Umwelt aus Ernährungssicht beschäftigen.

Potenzieller PR-Dauerbrenner

Was zudem der Veggie-Szene aus PR-Sicht sehr entgegen kommt, ist, dass sich jetzt alle EU-Länder mit dieser Thematik beschäftigen müssen. Damit wird das Ganze auch Land für Land zu einem echten PR-Dauerbrenner werden. Das wird zu mehr Polarisierung und zu sehr viel mehr Gratiswerbung für Fleischersatzprodukte führen.

So gesehen könnte diese Diskussion für den Veggie-Markt ein echter Kommunikationsturbo werden. Und dazu noch ein Punkt: Sollte es so der Fleisch- und Wurst-Namenslobby gelingen, dass man den Veggie-Produkten 5 Prozent Marktanteil wegnimmt, dann gewinnt man fast nichts dazu. Wenn aber diese Diskussion dazu führt, dass Fleisch und Wurst 5 Prozent Marktanteil verlieren, dann wären die Veggie-Produkte ganz große Gewinner.

Fazit oder eine strategische Lektion

Die Strategie des strategischen Feindbilds ist, wenn man es strategisch geschickt macht, ideal für Davids, die einen Goliath angreifen. Goliaths sollten mit dieser Strategie sehr vorsichtig sein, vor allem sollte man nie einen David so angreifen, dass man diesen in der Wahrnehmung und am Markt wichtiger macht. Zudem sollte man als Goliath tunlichst bedacht sein, nicht der unsympathische Böse zu werden.

Erschien im Original auf Horizont.net

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