Die (gefährliche) Macht der Übervereinfachung

Gegen die EU, gegen Mexikaner, gegen Wall Street, gegen Ausländer, gegen Muslime. Immer öfter treffen auf der politischen Ebene übervereinfachte Botschaften auf eine Vielzahl an guten Argumenten und gewinnen. Genau diese Art der Übervereinfachung nutzten etwa die Brexit-Befürworter oder aktuell auch Donald Trump im US-Wahlkampf.

Von den großen Marken lernen

In der Welt der Marken ist Übervereinfachung nichts Neues. So sind viele Marken heute rund um ein zentrales Schlagwort aufgebaut. BMW steht für „Fahrfreude“, Google steht für „Suche“, Spotify steht für „Streaming“ bei Musik, Dr. Best für „nachgebend“ bei Zahnbürsten und Geox für „atmet“ bei Schuhen. Genau dieses Prinzip des einen Schlagwortes nutzten auch die Brexit-Befürworter, indem sie ihre Kampagne auf das Wort „Control“ fokussierten. So lautete der Slogan dazu „Take Back Control“, eine einfache und mächtige Botschaft, die auch das Gefühl und den Zeitgeist vieler vor allem älterer Briten traf.

Trotzdem versuchen immer noch viele Unternehmen, vor allem aber auch Politiker ihre Kunden bzw. ihre Wähler mit vielen Argumenten zu überzeugen. Nur das funktioniert in der Regel immer schlechter. So schafften es auch die Brexit-Gegner nicht, ihre Argumente für den Verbleib in der EU auf eine positive Idee zu fokussieren. Vielmehr warnten sie vor den negativen Folgen des Austritts. Nur das war zu schwach (und auch zu verwirrend) gegen eine einfache positive formulierte Botschaft, die den Briten versprach, dass sie alles wieder selbst im Griff haben werden.

Auf den digitalen Stammtisch achten

Dazu kommt aber noch ein zweiter wichtiger Aspekt, nämlich die sozialen Medien. So war laut einer Studie von SimilarWeb die Kampagne der Brexit-Befürworter der klare Sieger in den sozialen Medien, vor allem auf Facebook. Die sozialen Medien entwickeln sich so – speziell bei politischen Themen – immer mehr zu einer Art „digitalem Wirtshaustisch“, der aber im Gegensatz zum herkömmlichen Wirtshaustisch viel mehr Menschen erreichen kann.

Nur genau diese Entwicklung fördert noch einmal mehr einfache „eindimensionale“ Botschaften. Sie gewinnen eine Diskussion am Wirtshaustisch in der Regel nicht mit guten Argumenten. Sie punkten auch dort mit einfachen, oft auch überspitzten oder sogar provozierenden Botschaften. Genau das kommt (oft auch radikalen) Herausforderern mehr entgegen als den Verteidigern des Status Quo. Nur damit besteht auch die große Gefahr, dass speziell die sozialen Medien mit auch zu einer neuen Art der Radikalisierung der Gesellschaft beitragen. Dies sollte uns allen zu denken geben. Vor allem aber sollte uns zu denken geben, dass anscheinend die Herausforderer des Status Quo die neuen Regeln und Medien besser beherrschen als die Verteidiger des Status Quo.

Erschien im Original unter dem Titel “Gefährliche Macht der Vereinfachung” im Kurier vom 16. August 2016

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3 Antworten zu Die (gefährliche) Macht der Übervereinfachung

  1. Prom Wallinger schreibt:

    Das Problem von negativen Botschaften ist zusätzlich (!), dass Satire-begabte Journalisten solche Botschaften gerne weiterdrehen (engl. „spin“) und übersteigert darstellen.

    Beispiel: Auf der Titelseite des britischen Satiremagazins „The Private Eye“ war David Cameron zu sehen, der im Falle eines Brexit einen Weltkrieg prognostizierte. Seinem Finanzminister George Osborne wurde in den Mund gelegt: „Oder noch schlimmer: Die Immobilienpreise könnten fallen!“

    Typischer biritischer Humor halt, schließlich werden im Eigenheim-besessenen Großbritannien hohe Hauspreise mit einer starken Nation und einer starken Wirtschaft gleichgesetzt.

    Und was passierte kurz nach dem Erscheinen des Hefts? Der echte George Osborne äusserte die Warnung, dass die Immobilienbranche im Fall des Brexit einen massiven Einbruch erleben würde.

    Die „Financial Times“ nannte dies „an extraordinary case of life imitating satire.“
    Also: Das echte Leben, die echten Politiker würden die Satire imitieren.

    Viel lächerlicher ging es nicht für die Vertreter des „Remain“-Lagers, die nur Negativ-Botschaften in die Welt setzten.

  2. michaelbrandtner schreibt:

    Dazu kommt noch: Wenn sich alle Politiker immer gegenseitig schlecht machen, bleibt bei den Wählern auf Dauer nur eine Botschaft hängen, nämlich: alle Politiker sind letztendlich unfähig.

  3. Prom Wallinger schreibt:

    Übrigens, Herr Brandtner, Ihr letzter Satz war genial:
    (….) zu denken geben, dass anscheinend die Herausforderer des Status Quo die neuen Regeln und Medien besser beherrschen als die Verteidiger (…)

    Dazu ein Beispiel vom heutigen 1. September aus unserer Nachbarstadt Saarbrücken: Da hat eine Nichtregierungs-Organisation vor dem Landtag symbolisch das C e t a-Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada abgefackelt, bis die Polizei den Gashahn abgedreht hat.

    https://www.sr-mediathek.de/index.php?seite=7&id=43473

    Die Organisatoren haben s e l b s t für diese kurze, knappe Aktion die Prinzipien von Al und Laura Ries mustergültig verstanden und umgesetzt. Sie haben nämlich, bewusst oder unbewusst, einen klaren ‚verbalen Nagel‘ gefunden – und einen starken ‚visuellen Hammer‘.

    Verbaler Nagel der Organisatoren?
    C e t a = b r a n d g e f ä h r l i c h!
    Erklärung aus Sicht der Organisatoren?
    „Es ist der Türöffner für das noch umstrittenere Handelsabkommen TTIP mit den USA. Es ist deshalb jetzt an der Zeit, einen Druck auf unsere saarländische Ministerpräsidentin aufzubauen. Damit sie im Bundesrat ihren Einfluss geltend macht.“

    Visueller Hammer der Organisatoren?
    M e t a l l g e r ü s t mit den durchgestrichenen Buchstaben C e t a, in Flammen gesetzt!
    Um visuell zu unterstreichen, dass Ceta eine große Bedrohung ist, eben brandgefährlich für die Bevölkerung.

    Fazit?
    -Wer heute frühmorgens auf der Stadtautobahn fuhr, im Berufsverkehr, und dieses Feuerspektakel vor dem Büro der Ministerpräsidentin (CDU) sah, bekam schon einen kleinen Schrecken
    -Die Polizei drehten den Organisatoren den Gashahn ab, da vor dem Büro der Ministerpräsidentin „generell keine Feuer-Aktionen erlaubt“ seien -;)
    -Die Nichtrefierungs-Organisation bekam jedoch das Wertvollste, das es in einer Aufmerksamkeitsgesellschaft gibt:
    -eine kostenlose und überproportionale Berichterstattung in den Medien.

    Ja, manche Herausforderer beherrschen die neuen Regeln und Medien viel besser als andere.

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