Am Freitag, den 17. Dezember dieses Jahres konnte man folgende Überschrift im ORF-Teletext lesen: „Tobias Picker: „Es stinkt mir“.“ Darunter stand dann: „Tobias Picker gehört zu den erfolgreichsten Opernkomponisten der USA – obgleich er ungern so genannt wird. „Es stinkt mir – das ist Schubladendenken.“
Gefangen in der Schublade
Das ist nicht untypisch für erfolgreiche Menschen oder auch erfolgreiche Unternehmen und Marken. Man fühlt sich durch die eigene „Erfolgsschublade“ eingeengt und begrenzt. So gesehen müsste es – sehr frei nach Picker – jeder Komponist besser haben, der für nichts steht, der also seiner künstlerischen Kreativität freien Lauf lassen könnte. Das Problem dabei ist nur, dass die meisten Komponisten, die für nichts stehen, auch nicht von ihrem künstlerischen Traum leben können.
Wenn man sich viele bekannte und erfolgreiche Persönlichkeiten ansieht, dann ist ein wesentlicher Erfolgsgrund, dass diese für ein Konzept, ein Wort in der Wahrnehmung und im Gedächtnis stehen. Man denkt an „Pop-Art“, man denkt an Andy Warhol. Man denkt an „Rock’n’Roll“. Man denkt an den „King“. Man denkt an Elvis Presley. Ohne Schublade im Gehirn, ist man in der Regel im „Nirgendwo“.
Erschwerend kommt hinzu, dass die meisten erfolgreichen Schubladen nicht besonders kreativ und aufregend klingen. Die meisten Schubladen sind einfache Worte wie „Opernkomponist“ oder „Musical-Komponist“. Bei der letzter Schublade denken viele wahrscheinlich sofort an Andrew Lloyd Webber, manche vielleicht auch noch an Stephen Sondheim, John Kander und Fred Ebb.
LeadIng. versus Industriegas
Dazu sollten wir uns noch ein Beispiel aus der Welt der Industrie ansehen. Bei Linde erkannte man vor Jahren, dass man die Essenz der Marke auf ein Wort reduzieren muss. Aber das ist nicht einfach, wenn ein Unternehmen in mehreren Geschäftsbereichen mit einer Marke tätig ist, damals in den Bereichen Gas, Anlagenbau, Gabelstapler und Kältetechnik.
Also suchte und „fand“ man ein Wort, das alle diese Bereiche abdeckt, nämlich das Wort „LeadIng.“, eine Kombination aus den Wörtern „Leading“ und „Ingeni-eur“. Solche Wörter kommen (leider) bei Strategie- und Kreativmeetings immer bestens an. Sie werden als geniale Geistesblitze gefeiert, die das unlösbare Problem gelöst haben. Fehleinschätzung, denn solche Ideen machen am Markt, in den Köpfen der Kunden keinen Sinn.
Die Leute kaufen keine „LeadIng.“–Company. Die Leute kaufen die führenden Marken in den jeweiligen Bereichen. Das erkannte auch der damalige Linde-Chef Wolfgang Reitzle und fokussierte die Marke auf „Industriegas“. Das Wort „Industriegas“ ist sicher nüchtern betrachtet weniger aufregend und kreativ als das Kunstwort „LeadIng“. Aber aus Marken- und Unternehmenssicht ist das Wort „Industriegas“ sehr viel stärker und mächtiger als das Wort „LeadIng“. (Oder wo wären Sie lieber Weltmarktführer? Bei Industriegasen oder bei einem Kunstwort wie LeadIng?)
Den spezifischen Markt besitzen
Dazu kommt: Wenn man wirklich die stärksten Marken betrachtet, dann besitzen diese ihren Markt im wahrsten Sinne des Wortes. Google besitzt „Suche“ im Internet. Spotify besitzt das Wort „Musikstreaming“. Simon-Kucher besitzt das Wort „Preismanagement“ in der Beratungswelt. Um die Jahrtausendwende war Edelman PR die fünftgrößte PR-Agentur in den USA. Das ist aus Positionierungssicht maximal die fünftbeste Position, die man haben kann. Aber bei Edelman erkannte man, dass man die größte Eigentümer-geführte PR-Agentur war. Die anderen vier Agenturen in den Top 5 waren Netzwerkagenturen. Mit dieser Idee „Eigentümer-geführt“ baute man sich eine eigene mentale Marktführerschaft als Basis auf. Heute ist Edelman die größte PR-Agentur der Welt. Welchen Markt besitzt Ihre Marke in der Wahrnehmung der Kunden? Werden Sie nur als ein weiterer guter Anbieter wahrgenommen, oder haben Sie Ihren eigenen führenden Anspruch?