Die Neuausrichtung der ÖVP: Eine Analyse aus Markensicht

Letzte Woche blieb bei der ÖVP als Regierungspartei kein Stein auf dem anderen. Nach dem Rücktritt aus allen politischen Ämtern von Sebastian Kurz, folgten die Rücktritte von Alexander Schallenberg, Gernot Blümel und Heinz Faßmann. Damit bleibt von der „Bewegung „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“, wenn man einen aktuellen Blick auf die Website der ÖVP wirft, außer der türkisen Farbe und dem Zusatz „die neue“ wenig übrig. Gleichzeitig stellt sich natürlich – wie in jeder Krise – die Frage, wie sich die ÖVP neu ausrichten will und sollte. So sind aktuell auch die Umfragewerte wieder dort, wo man vor der Ära Sebastian Kurz war.

Zwei Basismöglichkeiten

Aus Markensicht gibt es zwei Basismöglichkeiten, wie man eine bestehende Marke neu ausrichtet bzw. wieder in Richtung Erfolg repositioniert: (1) Back to basics und (2) auf zu neuen Ufern mit einem passenden Leadprodukt.

(1) Back to basics: Auf diese Strategie setzte man sehr erfolgreich bei Nivea im Jahr 2011, also zum 100 Jahre-Jubiläum. Damals refokussierte man die Marke wieder auf „Pflege“, nach dem man diese zuvor mit „Schönheitspflege“ überdehnt hatte.

(2) Auf zu neuen Ufern mit einem passenden Leadprodukt: Das war die Basisstrategie von Steve Jobs, um Apple in Summe neu aufzustellen. So wurde Apple mit den Leadprodukten iPod, iTunes, iPhone und iPad zur wertvollsten Marke der Welt.

Das Leadprodukt „Sebastian Kurz“

Auf diese zweite Strategie setzte man in der ÖVP im Jahr 2017 mit und rund um Sebastian Kurz. Dazu schrieb ich am 17. Juli dieses Jahres in einem Kommentar mit dem Titel „Der „iPhone“ der ÖVP und die Dualität“ in der Tageszeitung Kurier: „Sebastian Kurz wirkt hier für die ÖVP ähnlich wie das iPhone für Apple. In der Markenführung spricht man dabei auch vom Leadprodukt- bzw. Heiligenschein-Effekt. Das heißt: Seine positiven Imagewerte lassen auch die ÖVP in Summe wieder besser erstrahlen. Gleichzeitig steht er auch für eine Art „Hoffnung“ gegen verkrustete Parteiapparate und Parteistrukturen. Er gibt der ÖVP und den bestehenden und potenziellen Wählern dieser Partei so wieder eine hoffnungsvolle Richtung für die Zukunft.“

Gleichzeitig wies ich am Ende dieses Kommentars auch auf die potenziellen Gefahren dieser Art der Strategie hin: „Aus Sicht der nächsten Nationalratswahl betrachtet, ist die Strategie von Sebastian Kurz und der neuen ÖVP brillant. Nur langfristig gesehen ist diese Strategie nicht ungefährlich. Durch den Erfolg des iPhones wurde Apple immer mehr eine iPhone-Company, deren Erfolg vor allem am Erfolg dieses Produktes hängt. So ist die ÖVP heute eine Art „Hybridpartei“, also ein Mittelding aus Bewegung rund um Sebastian Kurz und den alten Parteistrukturen. So lange der Erfolg von Sebastian Kurz anhält, ist dies kein Problem. Nur sollte dieser Erfolgslauf einmal nachlassen, könnte dies für die ÖVP im schlimmsten Falle sogar zu einem existenzbedrohenden Problem werden, da dann wahrscheinlich innerhalb der ÖVP zwei grundlegend verschiedene Welten aufeinanderprallen werden.“

Der halbe Schritt in die Zukunft

So gesehen könnte die Neubesetzung des Bundeskanzlers mit Karl Nehammer der halbe Schritt in die Zukunft sein. Auf der einen Seite dürfte sich (wie schon früher so oft) das Land Niederösterreich in der ÖVP durchgesetzt haben, auf der anderen Seite gehört Nehammer aus Sicht der Öffentlichkeit sicher mehr zur neuen als zur alten Volkspartei.

Kurzfristig mag dies wahrscheinlich in der ÖVP als der beste Kompromiss erscheinen. Gleichzeitig steigt aber so die Gefahr, dass Karl Nehammer nicht an seinen tatsächlichen Leistungen, sondern mehr und mehr nur an den Umfragewerten gemessen wird. Zudem wird von Kritikern sein Name immer mit dem Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 verbunden werden.

Ruhe ins System bringen

Was aber wäre die Alternative gewesen? Ein großer Vorteil im Politikmarketing ist, dass die „Marktanteile“ nicht täglich, sondern jeweils nur am Wahltag vergeben werden. So bringt es etwa nichts, wie gerade die CDU in Deutschland erleben musste, wenn man über Jahre in Umfragen auf Platz 1 liegt, dieses Umfrageplus aber nicht bis zum Wahltag hin retten kann.

Heißt: Aktuell geht es für die ÖVP weniger um eine Art „Wahlkampf“, sondern vielmehr darum, dass man a) Ruhe ins System bringt und um b) dass man eine neue Basis für die Zukunft ausprobiert. Gleichzeitig hätte man dabei auch mitbedenken sollen, was die Strategien der anderen Parteien am meisten herausfordert oder durcheinander bringt. Mit Nehammer an der ÖVP-Spitze muss keine Oppositionspartei ihren Standpunkt und ihre Strategie überdenken. So gesehen wäre aus Markensicht aktuell Karoline Edtstadler wahrscheinlich die bessere Wahl für die ÖVP gewesen.

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