1980 schrieben Al Ries und Jack Trout in ihrem Marketing-Klassiker „Positioning“ von der „Vergessen, was sie erfolgreich machte“-Falle, kurz V.M.S.E.M-Falle. An diese Falle musste ich denken, als ich davon las, dass Rügenwalder jetzt auch unter der Marke Rügenwalder „fleischfreie Wurst“ auf den Markt bringen wird. Zielgruppe dürften wahrscheinlich Vegetarier und Flexitarier sein.
Fokussierung und Defokussierung
Im Jahr 2012 wurde Godo Röben, Marketing-Geschäftsführer bei Rügenwalder im Horizont (Ausgabe 24/2012) so zitiert: „Über die Jahre haben wir unser Produktangebot von 400 Artikeln auf sechs reduziert und sind trotzdem kontinuierlich gewachsen.“ Lieber wäre mir gewesen, wenn er das Folgende gesagt hätte: „Über die Jahre haben wir unser Produktangebot von 400 Artikeln auf sechs reduziert und sind deswegen kontinuierlich gewachsen.“
Je enger sich Rügenwalder fokussierte, desto mehr wurde man mental zur Teewurst-Marke. Gleichzeitig erhöhte man so auch massiv die wahrgenommene Qualität. Und was macht man jetzt? Man begann nicht nur die Marke wieder zu erweitern, man versucht jetzt zusätzlich auch fleischlose Wurstprodukte oder besser Wurstimitate zu lancieren.
Wird das funktionieren? Genau das ist die falsche Frage. Wenn es nicht funktioniert, tut man der Marke kurzfristig nichts Gutes. Wenn es funktioniert, wird die Marke langfristig darunter leiden, da man so immer breiter wird und dadurch automatisch im Laufe der Zeit die Qualitätswahrnehmung leiden wird. Rügenwalder tappt so mit voller Kraft in die oben erwähnte Falle.
Besser Zweiter als Erster
Schlimmer noch: Heute ist es generell fraglich, ob „Fleischersatzprodukte“ überhaupt funktionieren werden. Sollten Sie bei Rügenwalder doch funktionieren, ist das dann die große Chance für jemand anderen, der dann eine echte spezielle Fleischersatz-Marke lancieren kann.
Als IBM 1981 sehr erfolgreich ins PC-Geschäft einstieg (Man wurde sogar Weltmarktführer.), begann der Abstieg der Marke. So mutierte IBM im Laufe der Zeit von dem Computerunternehmen, das für Großrechner stand, zu einem weiteren breitsortierten Anbieter von Hardware, Software und Peripheriegeräten alle Art. Gleichzeitig legte man mit dem Erfolg des IBM-PCs den Grundstein für Marken wie Compaq und Dell, die sich dann als Spezialmarken den PC-Markt unter den Nagel rissen. So gesehen bringt sich Rügenwalder heute in eine Lose-Lose-Position.
Zu viele „ausgebrannte“ Marken
So muss man heute immer wieder lesen, dass die Markentreue sinkt, dass viele Traditionsmarken am absteigenden Ast sind und viele Jugendliche nicht mehr zwischen Marken und Eigenmarken unterscheiden können. Kann es sein, dass einer der Hauptgründe dafür Line- bzw. Brand-Extension heißt? Ich befürchte es. Denn je breiter Marken werden, desto weniger speziell und desto weniger einzigartig werden sie. Nur das passiert nicht über Nacht. Deshalb ist es dann auch meist zu spät, wenn das Management die negativen Auswirkungen erkennt.
So gilt immer noch: Wer es jedem und jeder recht machen will, macht es letztendlich niemandem mehr recht. Wenn Rügenwalder die Notwendigkeit sieht, fleischlose Wurstprodukte zu lancieren, sollte man dies unter einer eigenen neuen Marke machen, die am Anfang ruhig von der Unternehmensmarke Rügenwalder gestützt werden kann. Denn dann müsste man sich auch noch viel mehr überlegen, wo genau der USP dieser neuen Marke liegen würde. So bringt man, wie es aussieht, einfach nur fleischlose Produkte unter dem guten, alten Namen.
Wieder ein Blog in der gewohnt guten Brandtner-Qualität, danke dafür! Ich musste sofort an die tragische Geschichte des MBT-Schuhs denken. Erinnert sich noch jemand an diese Marke MBT und ihren Slogan „The Smallest Gym in the World“, weil man eben beim Tragen des MBT so ziemlich alle Muskeln des Bewegungsapparates aktivierte? Oder an den Slogan „MBT – The Anti-Shoe“, weil dieser Schuh eben so gar nicht in das Schema der herkömmlichen Schuhmodelle passte? Aber dann vergaß man, was die Marke groß machte.
Ich zitiere aus vertraulichen Unterlagen: „Der gravierendste Fehler war, auf den Modetrend aufzusteigen, also aus der Marke MBT ein Fashion-Label machen zu wollen, und gleichzeitig die eigentlichen Qualitäten hintanzustellen. Es war und ist absurd, aus dem MBT, der ja als orthopädischer Gesundheitsschuh mit Ursache und Wirkung in den Markt eingeführt wurde, nun einen stylischen Modeartikel machen zu wollen. OK, das neue Prada-Design mag den Schuh attraktiver für eine neue Käuferschicht machen, aber soll das um den Preis der Technik geschehen, die in diesem Schuh steckt?“
Weiter heißt es in dem Dokument, das mir vorliegt: „Wir haben in letzter Zeit kaum noch Geld in die Weiterentwicklung investiert, die typische gewölbte Sohle wurde immer flacher und somit auch ineffizienter für den Bewegungsapparat. Anstelle dieser Investitionen setzten wir auf Aussehen und Produktvielfalt. Einige aus dem Management glaubten, mit 60 oder 70 verschiedenen Modellen die Umsatzzahlen kräftig erhöhen zu können. Ein Irrglaube. Selbstverständlich gewannen wir eine breitere Käuferschicht, aber der Ur-MBT-User, der Käufer, der Rücken- oder Haltungsprobleme hatte oder diesen vorbeugen wollte, dem war und ist die Optik ziemlich egal. Genau diese Käufer beginnen nun, sich über die schwindende Effizienz der Schuhe zu beschweren. Wir haben den falschen Weg eingeschlagen.“