Kürzlich wurde mir folgende Frage gestellt: „In Ihrem neuen Buch sind in Summe gesehen die meisten Beispiele Marken aus der analogen Welt. Gelten die Regeln der Positionierung auch für digitale Marken?“ Andere Fragen lauten oft so: „Die meisten Positionierungsbeispiele in der Literatur kommen aus der Consumer-Welt. Gelten die Prinzipien auch für die Business-to-Business-Welt? Oder: „Gelten die Positionierungsregeln auch für Dienstleistungen?“.
Das oberste Ziel der Positionierung
Natürlich könnte man diese Fragen noch fortsetzen, wie etwa: „Gilt es auch für den Handel, für Personen, Urlaubsdestinationen oder auch Vereine und Parteien?“ Nur bevor man diese Fragen beantworten kann, sollte man sich eine andere Frage stellen, nämlich diese: „Was ist das oberste Ziel einer Positionierung?“ Die Antwort darauf lautet: „Eine relevante Spitzenstellung in der Wahrnehmung der bestehenden und potenziellen Kunden.“
So besitzen die stärksten Marken der Welt ihren Markt im wahrsten Sinne des Wortes:
Tesla ….. Elektroauto
Google ….. Suche
YouTube ….. Video
iPhone …. Smartphone
Microtec ….. Woodscanning
Rational ….. Kombidämpfer
Amazon …. Online-Handel
Zalando ….. Online-Mode
Simon, Kucher & Partners ….. Preismanagement
Ries Global ….. Positioning
Martin Limbeck ….. Hard-Selling
Mark Lauren ….. Bodyweight-Training
Andy Warhol …. Pop-Art
Das heißt: Es geht bei der Positionierung vorrangig nicht darum, ob Produkt oder Dienstleistung, B2C oder B2B oder analoge oder digitale Marke, es geht vor allem um die mentale Ausgangssituation in der Wahrnehmung der Kunden. So muss ein Marktführer anders denken und handeln als ein Herausforderer oder Mitläufer.
Zuerst die Wahrnehmung, dann die Positionierung
Das heißt: Man sollte zuerst den mentalen Kontext der Marke in der Wahrnehmung der Kunden kennen, verstehen und vor allem akzeptieren. Erst dann kann man darauf aufbauend die optimale Positionierung für die eigene Marke entwickeln. So war es etwa für Tesla nicht wirklich entscheidend, dass Nissan mit dem Nissan Leaf das meistverkaufte Elektroauto hatte. Entscheidend war, dass der Nissan Leaf nicht die Position „Elektroauto“ in der Wahrnehmung der Kunden besetzt hatte. Somit war diese Position für Tesla frei. Ganz anders ist jetzt die Ausgangssituation für Polestar. Bei Polestar muss man sich sehr wohl ganz genau überlegen, wie man sich in Relation zu Tesla positioniert.
So war auch Amazon nicht die erste Internetbuchhandlung dieser Erde. Das war Powells.com. Nur auch hier war das für Amazon letztendlich belanglos, da es Powells nicht gelungen war, die Position „Internetbuchhandlung“ frühzeitig in der Wahrnehmung der Kunden zu besetzen. Wo steht Ihre Marke im mentalen Kontext in Relation zum Wettbewerb? Und besitzt Ihre Marke in diesem Kontext die optimale Positionierung? Und wird diese Positionierung optimal umgesetzt? Die Antworten auf diese Fragen entscheiden über den langfristigen Erfolg Ihrer Marke. Positionierung: Die Zukunft Ihrer Marke, Ihres Unternehmens hängt davon ab.
PS dazu: Ein Mineralwasser-Beispiel aus Österreich
Dazu sollten wir uns zum Abschluss noch ein Mineralwasser-Beispiel aus Österreich ansehen. Die beiden führenden Marken in der Wahrnehmung der Kunden waren und sind Vöslauer und Römerquelle. Dann folgen Marken wie Waldquelle und Gasteiner. Genau in diesem Umfeld versucht Gasteiner immer wieder mit Reimen wie etwa aktuell „Gasteiner – und der Moment ist deiner“ zu punkten.
Nur das kann und wird nicht funktionieren, weil es keine „Moment ist deiner“-Positionierung für Mineralwasser in der Kundenwahrnehmung gibt. Niemand denkt sich, dass ist jetzt mein Moment und ich brauche unbedingt ein Gasteiner. Wenig hilfreich ist dabei auch, dass Gasteiner angeblich das „ENTSCHLEUNIGUNGS-WASSER DER ÖSTERREICHER“ ist. Es gibt auch keine Entschleunigungswasser-Position in der Wahrnehmung der Kunden. Niemand denkt hier an ein Entschleunigungswasser und dann an irgendeine Mineralwassermarke.
Was sollte Gasteiner dann tun? (1) Akzeptieren, dass man im mentalen Schatten von Vöslauer und Römerquelle steht. (2) Aktiv die Gegenposition suchen. So kommen sowohl Römerquelle als auch Vöslauer aus dem Flachland. Gasteiner kommt aus den Alpen. Das ist ein großer offensichtlicher Vorteil, denn wir alle wissen, dass das Wasser aus den Bergen besser ist. (3) Den Slogan „Nicht umsonst Österreichs beliebtestes Alpenmineralwasser“ etablieren. (4) Ein Marketingprogramm entwickeln, das auf sympathische Art und Weise die beiden Marktführer als „Flachlandmineralwasser“ repositioniert. So genügt es oft nicht, eine eigene Position zu definieren, man muss zudem auch den Mitbewerb repositionieren. Genau das machte etwa Dr. Best sehr geschickt, indem man in der Werbung zuerst die starren Zahnbürsten als ungenügend repositionierte, bevor man die eigene „nachgebende Position“ etablierte.
Unsere Generation 40 + ist ja mit dem Schlüsselwort „reiner“ von Gasteiner aufgewachsen.
Immer und überall hieß es: „‘is halt reiner, das Gasteiner“.
2006 hieß es in den Anzeigen noch: „‘s schmeckt halt reiner.“
Gasteiner performte damit sehr lange sehr gut in allen KPIs einer guten Marke:
-Markenbekanntheit
-Werbeerinnerung spontan/gestützt
-Zuordnung der Werbeslogans
-etc.
War es ein Fehler von Gasteiner, den klaren Fokus „Reinheit“ und damit das klare Wort „rein“ aufzugeben?
Dabei ist Gasteiner doch eines der reinsten Mineralwässer weltweit… weil es ganz natürlich die Mineralstoffe und Spurenelemente auf seinem Weg durch die Berge aufnimmt….
Leider wurde das „reiner“ nie wirklich mit den Alpen glaubwürdig gemacht. So werden weder Vöslauer noch Römerquelle als „weniger rein“ wahrgenommen. Wäre Gasteiner der absolute wahrgenommene Marktführer, hätte das „reiner“ als Attribut alleine gereicht.
Liebe Grüße
Michael Brandtner