Eine der stärksten Triebfedern ist der Herdentrieb oder wissenschaftlicher ausgedrückt das Prinzip der sozialen Bewährtheit. Dazu schreibt der Psychologe Robert Cialdini: „Nach diesem Prinzip finden wir heraus, was richtig ist, indem wir zuerst überprüfen, was andere für richtig halten. Insbesondere entscheiden wir auf diese Art und Weise, welche Verhaltensweisen korrekt sind und welche nicht. … Ein Verhalten wird dann als korrekt angesehen, wenn viele andere sich auch so verhalten.“ Aus dieser Warte betrachtet war „Brille: Fielmann“ sehr viel stärker als „Deine Brille: Fielmann“, da man mit „Brille: Fielmann“ einen echten Marktführeranspruch kommunizierte. Denn dies brachte klar auf den Punkt, dass man beim Gedanken an eine Brille, egal ob für einen selbst oder etwa die Kinder, automatisch generell an Fielmann dachte.
Drei Arten von Märkten aus Markensicht
Um besser zu verstehen, worum es dabei mental geht, sollten wir uns drei verschiedene Märkte aus Markensicht ansehen:
(1) Geordnete Märkte: Aktuell ist sicher eines der besten Beispiele für einen mental geordneten Markt der Smartphone-Markt. Sie denken an Smartphone. Sie denken automatisch an iPhone und Samsung Galaxy. Hier gibt es eine klare mentale Hack- oder Rangordnung. Dann folgt mit etwas Nachdenken der Rest des Feldes wie etwa Huawei, Oppo, Vivo oder auch Xiaomi. Interessant dabei ist auch, dass nur die beiden ersten Marken in der Wahrnehmung stabil waren und sind.
(2) Teilgeordnete Märkte: Anders sieht es aus, wenn Sie an klassische PCs oder Notebooks mit Windows-Betriebssystem denken. Auch hier fallen Ihnen vielleicht Marken wie HP, Lenovo, Dell oder Acer ein. Der Unterschied zum Smartphone-Markt. Sie haben keine klare Rangordnung im Kopf. Nur damit gewinnen klar andere Faktoren wie Produktfeatures oder der Preis stärker an Bedeutung. Man ist quasi zufrieden, wenn es eine dieser Marken ist, aber man hat keine klare Rangordnung und damit keine Präferenz.
(3) Ungeordnete Märkte: Einer der wahrscheinlich schlimmsten Märkte aus Markensicht war in Bezug auf mentale Ordnung der Markt für Videobeamer. Sie denken Videobeamer und es fällt Ihnen entweder keine konkrete Marke ein oder die, die Sie selbst – aus welchen Gründen auch immer – gekauft oder gerade genutzt haben. Damit spielt die Marke bei Kaufentscheidungen so gut wie keine Rolle mehr.
Kontext, Ordnung und Markenstärke
Damit kommen wir zu einem wichtigen Punkt: Je ausgeprägter die Rangordnung ist, desto stärker und wichtiger ist die Marke als Einkaufskriterium. Je weniger ausgeprägt die Rangordnung ist, desto mehr gewinnen andere Faktoren wie Produkteigenschaften oder Empfehlungen, vor allem aber auch der tiefe Preis an Bedeutung.
So treffen Kunden auch Kaufentscheidungen, wenn man von staatlichen Monopolen absieht, auch nie in Isolation. Sie wählen immer aus. Spannend dabei ist aber aus psychologischer Sicht, ob man einen echten mentalen Marktführer oder eher einen mentalen Einheitsbrei wahrnimmt. Nicht umsonst besitzen die stärksten Marken ihren Markt im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie denken an Cola. Sie denken an Coca-Cola. Sie denken an Energydrink. Sie denken an Red Bull. Sie denken an Hamburger. Sie denken an McDonald’s. Sie denken an Smartphone. Sie denken an iPhone. Sie denken an Elektroauto. Sie denken an Tesla. Sie denken an Suche im Internet. Sie denken an Google. Sie denken an Video im Internet. Sie denken an YouTube. Sie denken an Kurzvideo. Sie denken an TikTok. Sie denken an Fernbus. Sie denken an Flixbus. Sie denken an Brille. Sie denken an Fielmann.
Unterschätzte mentale Marktführerschaft
Heißt: Eine Führungsposition ist sehr viel stärker als eine Position, die auf den Vorteilen, Eigenschaften oder Nutzen einer Marke beruht. Im Neuromarketing spricht man in diesem Kontext auch vom „The winner takes it all“-Effekt. Dieser Effekt gilt im B2C-Marketing genauso wie im B2B-Marketing. Er gilt aber vor allem in der Welt des Internets, die noch stärker als unsere analoge Welt zur „Monopolisierung“ neigt.
Trotzdem sind die meisten Marken- und Marketingprogramme heute rund um Produkteigenschaften und deren Vorteile und Nutzen aufgebaut. Das Problem dabei: Wenn sich herausstellt, dass eine Eigenschaft, ein Vorteil oder ein Nutzen für die Kunden extrem wichtig ist, kann diese der Marktführer immer sofort kopieren. Was aber ein Verfolger nie kopieren kann, ist die „Führungsposition” des Marktführers.
Von der Steinzeit in die Brillenzukunft
Dazu sollten wir noch einen kurzen Ausflug in unsere Vergangenheit machen. Um überleben zu können, ist unser Gehirn auf Ordnung programmiert. Es geht darum, sich in einer komplexen Welt mit möglichst großer Sicherheit und mit möglichst wenig Energieaufwand zurecht zu finden. Das galt in der Steinzeit, das gilt heute, auch wenn sich natürlich die Umwelt massiv verändert hat.
Dabei ist eine starke Marke eine Art „Denkabkürzung“, um uns Entscheidungen zu erleichtern. So schafft etwa eine Marke wie Red Bull Ordnung in einer Welt des Überangebotes von Energydrinks, Sportgetränken und anderen Erfrischungsgetränken. Spannend dabei ist, dass sich Gehirnforscher sehr intensiv mit dem Thema „Ordnung“ im Gehirn beschäftigen, während es in Strategie-, Marken- und Marketingmeetings so gut wie nie erwähnt wird. Oder wurden Sie schon einmal von Ihrer Werbeagentur oder Ihrem Markenberater gefragt, welchen Ordnungsbeitrag Ihre Marke leistet?
So gesehen ist es sicher eine brillante Entscheidung von Fielmann, dass man sich wieder auf die eigene Markenstärke zurückbesinnt. Nur hätte man dabei ruhig auf das Wort „Deine“ verzichten können. Es mag zwar persönlicher und sogar kundenorientierter sein, aber es untergräbt den eigenen Marktführer- und damit Ordnungsanspruch. Und das sollte (aus Markensicht) nicht sein. Das gilt auch speziell für die nachwachsende jüngere Generation, die nicht mit dem ikonischen „Brille: Fielmann“ aufgewachsen ist und aufwachsen wird.
Erschien im Original auf Horizont.net

Brille? Fielmann!
Branding? Brandtner!
Rich and Prosperous? Ries Positioning!