Im Herbst dieses Jahres, genauer am 2. September wurde die Printausgabe des WirtschaftsBlatts als Österreichs führende Wirtschaftstageszeitung eingestellt. Nur damit entsteht nicht nur eine Informationslücke im Medienmarkt, es bleiben auch drei potenzielle Ressourcen oder Werte bestehen.
Drei mögliche Werte
Auf der einen Seite ist das sicher der Markenname „WirtschaftsBlatt“, der aktuell noch digital fortlebt. Dann sind da natürlich die Abonnenten und Leser, die jetzt ihr Medium verloren haben, und auf gar keinen Fall darf man das auf Wirtschaft spezialisierte Redaktionsteam vergessen. Aus Markensicht neigt man in solchen Situationen schnell dazu, dass man vor allem den Wert der Marke betont.
So schreiben die Medien immer wieder über den Relaunch oder auch die Rettung von bekannten Traditionsmarken. Man denkt vielleicht jetzt spontan an Marken wie Cosmos, Niedermeyer, Schöps, Schlecker oder auch Zielpunkt. Nur ob es sich auszahlt, eine Traditionsmarke zu retten oder wiederzubeleben, hängt vor allem davon ab, wofür die Marke steht. Bekanntheit alleine bringt nämlich wenig, wenn die Marke etwa für ein veraltetes Geschäftsmodell bekannt ist.
Keine Online-Tageszeitung
Nur damit sind wir bei einem wichtigen Punkt. Der Markenname „WirtschaftsBlatt“ steht für Wirtschaftstageszeitung und damit auch für ein traditionelles Mediengeschäftsmodell. Das wäre prinzipiell nicht schlecht, aber gerade in dieser Situation könnte es Sinn machen, komplett neu zu denken.
In diesem Fall müsste man sich mental vom Begriff „Tageszeitung“ total verabschieden. Die Kernfrage müsste lauten: Wie sieht ein digitales Wirtschaftsmedium aus, das zu 100 Prozent aus Sicht des Internets entwickelt wird? Bei dieser Überlegung oder Fragestellung müsste man vor allem folgende fünf Punkte mitbedenken:
- Die Informationsgeschwindigkeit: Der Inhalt eines Mediums wird nicht nur von der Redaktion, sondern vor allem auch durch die Geschwindigkeit des Mediums beeinflusst. Deshalb hat eine Tageszeitung andere Inhalte als ein Wochen- oder Monatsmagazin. Das Internet wiederum kann in Echtzeit berichten.
- Die Möglichkeiten der multimedialen Kommunikation: Früher unterschied man ganz klar zwischen Printmedien und etwa Radio oder Fernsehen alleine aufgrund der Möglichkeiten, wie die Botschaften transportiert wurden. Im Internet ist parallel alles möglich.
- Die Möglichkeiten der Individualisierung der Nachrichten: In der analogen Welt lassen sich Medien nur äußerst schwer bis gar nicht individualisieren. In der digitalen Welt könnte jeder sein ureigenes Medium erhalten. So hat unter Umständen ein Industrieunternehmen ein ganz anderes Informationsinteresse als ein anderes Industrieunternehmen und wieder ein ganz anderes als etwa ein Unternehmensberater oder ein Hotelier oder ein Unternehmensgründer.
- Das Wegfallen von Distributionsgrenzen: Die meisten Medien sind – bis auf wenige Auslandsabos – auf das Inland fokussiert. Diese nationale Fokussierung wurde in vielen Fällen aufgrund der transportierten Inhalte auch im Internet beibehalten. Aber auch hier könnte man von Anfang an internationaler denken, vor allem sollte man unbedingt einen Markennamen wählen, der global funktionieren kann.
- Das hohe Verlinkungspotenzial zu anderen digitalen Medien: Wenn man automatisch nur in der digitalen Welt zuhause ist, hat man automatisch auch ein enorm hohes Verlinkungspotenzial über andere digitale Kanäle. Genau diese fünf Punkte sollte man unbedingt beachten, wenn man über ein neues digitales Wirtschaftsmedium nachdenkt. Damit wären die verbleibenden Kernstärken das Redaktionsteam und natürlich die potenziellen Abonnenten und Leser. Der alte Markenname würde nicht dazu passen, denn mit dem Markennamen „WirtschaftsBlatt“ würde man automatisch wieder der alten Medienwelt zugerechnet werden.
Divergenz- statt Konvergenzdenken
Zurzeit versuchen so gut wie alle traditionellen Medien, auch digital zu punkten. Der große Kerngedanke dahinter lautet Konvergenz, also dass die analoge und digitale Medienwelt miteinander verschmelzen werden. Das Zauberwort dahinter wiederum lautet „Content“. Nur wenn man sich die wirklich erfolgreichen Internetmarken ansieht, dann beruhen diese auf Divergenzdenken, nämlich darauf, dass man komplett neue Modelle und Marken im Internet speziell für das Internet geschaffen hat. Und man denkt an Facebook, Google, YouTube, Spotify, Netflix, Pinterest, Twitter oder Snapchat. Vielleicht könnte so auch das Ende des Wirtschaftsblatts eine komplett neue Ära in der digitalen Wirtschaftsberichterstattung einläuten? Nur dazu müsste jemand „Wirtschaftsberichterstattung“ komplett neu aus Sicht des Internets denken.
Erschien im Original gekürzt im MedienManager, Ausgabe 10/2016
Hallo Herr Brandtner,
ich sehe das im Grund genauso, möchte aber noch folgende Frage stellen: Stationäre Lebensmittelhändler und Drogerieketten versuchen sich zusätzlich „online“, Ein „online“-Händler wie amazon versucht sich in Lebensmitteln. Aus Divergenzgesichtspunkten müsste beides schwierig sein wirtschaftlich umzusetzen. Dennoch könnte man vermuten amazon schafft den Swing eher als die stationären Händler. Wie sehen Sie das?
Beste Grüße,
Christian Berentzen
Amazon bleibt dabei seinem Geschäftsmodell „online“ treu, während stationäre Händler ihr Geschäftsmodell „ergänzen“. Das ist ein oder der wesentliche Unterschied. Die zwei zentralen Fragen für Amazon: (1) Kann man mit Lebensmittel online Geld verdienen oder würde es attraktivere Geschäftsfelder geben? (2) Verzettelt man sich langfristig nicht generell? Heute ist Amazon das Internet-Warenhaus, also quasi ein Online-Karstadt der Superlative. Genau das könnte langfristig auch einmal das Problem werden.