Kürzlich war ich als Gast bei einer Markenkonferenz in Wien mit dem Schwerpunkt „Marke und Digitalisierung“. Dabei präsentierte ein leitender Manager eines Start-up-Unternehmen die Erfolgsgeschichte dieses Start-ups. Interessant dabei war, dass er zu Beginn des Vortrags die eine zentrale Durchbruchsidee immer und immer in den Raum stellte, um dann am Ende der Präsentation das neue Markenstatement zu präsentieren, das man erst kürzlich mit einer renommierten Branding-Agentur entwickelt hatte. Das Verblüffende aus meiner Sicht: Die Durchbruchsidee, die zwar immer noch im Mittelpunkt der aktuellen Kommunikation stand, war im neuen Markenstatement verschwunden. Stattdessen findet man dort jetzt alle Begriffe, die man für ein Marken-Bullshit-Bingo braucht.
Verblüffend und nicht verblüffend
So verblüfft ich aus meiner Markenperspektive war, so wenig verblüfft war ich letztendlich aus der anscheinend in der Praxis üblichen Markenperspektive. So zeigen Studien immer und immer wieder, wie austauschbar Markenstatements im Laufe der Zeit werden. Dies verdeutlicht der deutsche Markenexperte Karsten Kilian sehr anschaulich in seinem Buchbeitrag „Markenidentitäten und Imagetransfers optimal gestalten“ anhand von vier Studien:
Laut einer Studie von Kleiner & Bold aus dem Jahre 2011 sind die Top 10 Markenwerte mittelständischer deutscher Unternehmen: Qualität, Zuverlässigkeit, Innovation, Kundenorientierung, Nachhaltigkeit, Technologieführer, Umweltbewusstsein, Kompetenz, Vertrauen und Respekt.
Wenn es um deutsche Hightech-Unternehmen geht, sehen laut einer Studie von Kilian selbst aus dem Jahr 2012 die Top 10 so aus: Qualität, Innovation, deutsche Wertarbeit, Tradition, Präzision, Zuverlässigkeit, Kundenorientierung, Know-how, Hochwertigkeit, Technologieführer.
2013 erhob Ecco bei internationalen Unternehmen folgende Top 10: Innovation, Qualität, Kundenzufriedenheit, Integrität, Umwelt, Know-how, Verantwortung, Teamgeist, Respekt und Ehrgeiz.
Im Jahr 2017 analysierten dann Kilian/Keysser noch die Top 10 Markenwerte der deutschen Börse-Unternehmen und kamen zu folgendem Ergebnis: Integrität, Qualität, Innovation, Verantwortung, Vertrauen, Respekt, Kundenorientierung, Offenheit, unternehmerisch und Zuverlässigkeit.
Wo Geschichten beginnen
Interessant dazu war auch ein Artikel über das aktuelle Rebranding der Marke Schleich im Horizont vom 2. Juni dieses Jahres. So nimmt der Spiel- und Tierfigurenhersteller Schleich die Markenwerte „authentisch“, „detailgetreu“ und „qualitativ“ für sich in Anspruch. Das ist im Gegensatz zu den oben erwähnten Begriffen, wenn man von „qualitativ“ absieht sicher perfekt auf den Punkt gebracht.
Spannend ist hier, dass man beim Rebranding dies mit dem Slogan „Where stories begin“ zusammenfasst. Dabei hätte man diesen Slogan nur mit einem einzigen Wort verändern müssen, um die Markenwerte sehr viel besser auf den Punkt zu bringen. Dazu hätte es – aus meiner Warte – sogar zwei Möglichkeiten gegeben, entweder mit dem Wort „real“ oder dem Wort „true“. „Where real stories begin“ oder „Where true stories begin“ hätte mit Sicherheit die Werte „authentisch“ und „detailgetreu“ besser transportiert als „Where stories begin“. Wahrscheinlich war man aber selbst mit dem neuen Slogan nicht ganz zufrieden, weil man auf der Verpackung darauf verzichtet. So hat man zwar das Logo und das Verpackungsdesign überarbeitet, aber auf den Slogan unter dem Logo glatt vergessen. Schade!
Das volle Marken- und Differenzierungspotenzial nutzen
So lassen leider immer noch viele Marken ihr volles Marken- und Differenzierungspotenzial liegen, weil man a) die Marke im Slogan nicht wirklich voll auf den Punkt fokussiert und b) weil man vor allem die „Gratiswerbeflächen“ wie etwa die Verpackung nicht voll nutzt. Das ist umso verwunderlicher, weil sich gleichzeitig immer mehr Markenverantwortliche beklagen, wie teuer es geworden ist, die Menschen mit der eigenen Markenbotschaft zu erreichen.
Teile Ihre Meinung zu ‚Schleich‘. Für mich vollkommen unverständlich, warum Schleich nicht auf das Kern-Wort ‚real‘ setzt. Und auf den Satz:
‚Where real stories begin‘
Schleich macht vieles richtig (Internationalisierung, starkes Wachstum in den USA). Aber dieser verdiente Erfolg (… man schaue sich die Zahlen 2021 an) ruft Schleich-Nachahmer auf den Plan. Und dieser Erfolg wird weiter Begehrlichkeiten wecken – und zwar in vielen Teilen der Welt.
Junge weibliche Pferde-Fans sind jetzt schon zunehmend verunsichert und laden Videos hoch, zu sehen auf YouTube, zum Beispiel mit dem Titel: ‚Real Schleich vs. Fake Schleich – Can you tell the difference ?!?‘
Schleich ist wirklich eine tolle Marke, und bietet wie kein anderer Hersteller detailgetreue, ausgesprochen realitätsnahe Spielfiguren. ‚Realistic horses‘ nennt man das im Englischen. Und was liest man auf dem chinesischen Alibaba-Shop ‚Aliexpress‘? Genau dort gibt es solche ‚Realistic horses‘ zu kaufen. Die natürlich nicht von Schleich stammen. Sondern reine Nachahmerprodukte sind.
Und wer hat es erfunden? Eigentlich Schleich, the real thing.
Wie gesagt: Unverständlich, dass Schleich jetzt weltweit auf ‚Where stories begin‘ setzt. Und nicht auf ‚Where real stories begin‘.
Somit: Chance verpasst, das Kern-Wort ‚real‘ wirklich in jeglicher Verästelung zu verwenden.