„Wir müssen aus unserem Unternehmen, unseren Produkten und unseren Dienstleistungen analog und digital eine starke Marke mit einem starken Purpose nach außen und innen bauen“, ist ein Satz, den ich immer und immer wieder in Strategie-, Marken- und Marketingmeetings gehört habe oder hören musste.
Schön und weniger schön
Das Schöne an diesem Satz ist, dass man im Unternehmen das Thema Marke erkannt und auch aktiv angehen möchte. Das oft weniger Schöne daran ist, dass dieser Art von Ausspruch irgendwie suggeriert, dass Marke eine Art „kosmetische Behandlung“ ist.
Heißt: Man muss weder das Unternehmen selbst, noch die Marken, Produkte oder Dienstleistungen aus Markensicht in Frage stellen, sondern man muss nur das eigene Unternehmen, wie es aktuell ist, ein wenig aus Markensicht „beschmücken“. Dazu macht man dann einen Purpose-Workshop, einen oder mehrere Markenidentitätsworkshops, lässt das Logo und Design ein wenig überarbeiten und vielleicht gönnt man sich sogar eine neue Werbekampagne mit einem neuen Slogan.
Nur wenn man den oben skizzierten Weg einschlägt, wird sich wahrscheinlich wenig am Markt ändern, außer dass sich manche Berater und Agenturen an diversen Buzz-Wörtern anscheinend nur allzu gerne eine goldene Nase verdienen. Viele Unternehmen durchlaufen diesen Prozess immer und immer wieder in der Hoffnung, dass doch einmal der große Wurf dabei ist.
So kann es dann auch passieren, dass etwa ein großes deutsches Markenartikelunternehmen quasi von heute auf morgen den Purpose von „Nachhaltig Werte schaffen“ aus dem Jahr 2016 auf „Pioneers at heart for the good generations“ ändert. (Zum Glück besitzt dieses Unternehmen extrem starke Marken, die diese Art von „Purpose-Spielereien“ aushalten, selbst wenn dieser in sechs Jahren wieder neu definiert werden sollte.)
Aus Markensicht überdenken
Was aber sollte man dann tun? Die Antwort aus Markensicht: Das gesamte Unternehmen aus Markensicht und damit aus Sicht der Kundenwahrnehmung überdenken. Alleine dieser Perspektivenwechsel und die Gegenüberstellung von „Unternehmensrealität“ und „Kundenwahrnehmung“ eröffnet in vielen Fällen ganz neue Perspektiven und damit auch ganz neue Chancen und Möglichkeiten. Dazu sollte man sich unbedingt die folgenden fünf Fragen stellen:
(1) Wie wird das eigene Unternehmen, die eigenen Marken in Relation zum Mitbewerb in den Köpfen der Kunden und Stakeholder wahrgenommen?
(2) Besitzt das eigene Unternehmen, besitzen die eigenen Marken in diesem Kontext jeweils die optimale Position und Positionierung?
(3) Was muss man strategisch unter Umständen ändern, um wirklich jeweils optimal positioniert zu sein?
(4) Was muss man operativ unter Umständen ändern, um wirklich jeweils optimal positioniert zu sein?
(5) Wurde dabei auch der Zukunftsaspekt speziell auch aus Sicht des Internets und neuer Geschäftsmodelle ausreichend mitberücksichtigt?
Die konzeptionelle Idee „Marke“ voll nutzen
So gesehen kann man das Konzept oder die konzeptionelle Idee „Marke“ aus zwei Perspektiven sehen: (1) Wenn man Marke nur als eine Art „Kosmetik“ für das eigene Unternehmen, die eigenen Produkte und Dienstleistungen sieht, darf man sich nicht wundern, wenn man wahrscheinlich nie das volle Potenzial nutzt. (2) Wenn man aber das volle Umsatz-, Wertschöpfungs- und Gewinnpotenzial des Konzepts Marke für das eigene Unternehmen nutzen möchte, dann muss man vor allem und zuerst auch den Mut haben, das gesamte Unternehmen mit allen Produkten und Dienstleistungen wirklich aus Sicht der Marke und damit aus Sicht der Kundenwahrnehmung auf den Prüfstand zu stellen. So einfach in der Theorie, oft so schwer in der Praxis.
Auch Journalisten als neutrale externe Beobachter tun sich schwer mit den ständigen Änderungen der Visions-Papiere.
Jetzt also „Pioneer at Heart for the Good of Generations” bei Henkel!
Anfang 2019 bekamen wir Journalisten von Henkel etwa folgende Erklärung:
„Unsere fünf Werte (mit Fokus auf Nachhaltigkeit) wurden nach einer intensiven Diskussion verabschiedet, in die unterschiedliche Gruppen einbezogen wurden. Anschließend wurden die Werte und die Vision des Unternehmens weltweit vermittelt. Unter anderem gab es weltweit Workshops mit allen 50.000 Mitarbeitern (…) Wir hatten vorher zu viele Werte und sie waren nicht klar genug. Indem wir die Werte von zehn auf fünf reduzierten, konnten wir sicherstellen, dass sich alle Mitarbeiter an diese besser erinnern und sie verstehen.“
Dauernde Änderungen der Visions-Papiere lassen leider auch Finanzjournalisten ratlos zurück – nicht nur klassische Journalisten.
PS:
Aber wie Sie sagen:
Zum Glück besitzt dieses Unternehmen starke Marken.