Am 29. Mai 1953 gelang die Erstbesteigung des Mount Everest, des höchsten Berges dieser Erde. Damit ging Sir Edmund Hillary nicht nur in die Geschichte der Bergsteigerwelt, sondern allgemein in die Geschichte ein. Seit damals haben viele andere auch diesen Berg bestiegen, viele davon sicher schneller und bei weitem besser ausgerüstet als Sir Hillary. Nur in die Geschichtsbücher schafften sie es nicht mehr.
(Er)finden Sie eine neue Kategorie
Vielen Start-up-Unternehmen ergeht es ähnlich. Sie schaffen schnellere und bessere Produkte oder Dienstleistungen, aber sie schaffen es nicht in die allgemeine Wahrnehmung. Nur genau darum geht es beim Branding. Die beste und innovativste Dienstleistung bzw. das beste und innovativste Produkt bringen wenig, wenn die potenziellen Kunden nichts davon wissen.
Hier können Start-up-Unternehmen viel von Reinhold Messner lernen. Er wird nicht als weiterer Bezwinger des Mount Everest, sondern als der erste Bezwinger ohne künstlichen Sauerstoff wahrgenommen. Er schuf sich somit eine eigene Pionier- und damit auch Marktführer-Rolle.
Pionier und/oder Marktführer
Damit sind wir bei einem wichtigen Punkt. Wenn Sie heute von Null weg eine starke Marke bauen wollen, sollten Sie zuerst die eigene Kategorie definieren, in der Sie als Pionier und/oder als Marktführer wahrgenommen werden wollen. Nur genau das tun viele nicht. Vielmehr beschäftigen sich die meisten aus Markensicht zuerst mit Dingen wie dem Markennamen, dem Logo, dem grundlegenden Design und den diversen Kundennutzen und USPs, die man den Kunden bieten will.
All dies mag aus Markensicht wichtig sein, aber es sollte der zweite Schritt sein. Denn wenn man sich die stärksten Marken der Welt ansieht, dann sind diese nicht über diverse Nutzen oder USPs definiert, sondern die stärksten Marken der Welt besitzen ihre Produkt- und Dienstleistungskategorie in der Wahrnehmung der Kunden. Sie denken an Energydrink. Sie denken an Red Bull. Sie denken an Lauf-App und Sie denken an Runtastic. Sie denken an ActionCam und Sie denken an GoPro. Sie denken an Musikstreaming und Sie denken an Spotify. Sie denken an Bodyweight-Training und Sie denken an Mark Lauren.
Dazu schrieben im Jahr 2012 Al Ries und ich in einem Artikel über Positioning für Absatzwirtschaft.de: „Eine Führungsposition etwa ist viel stärker als eine Position, die auf den Vorteilen oder Eigenschaften einer Marke beruht. Coca-Cola bei Cola. McDonald’s bei Fastfood, Nespresso bei Kaffeekapselsystemen oder Google bei Suchmaschinen. Trotzdem sind die meisten Marketingprogramme heute rund um Produkteigenschaften und deren Vorteile aufgebaut. Das Problem dabei: Wenn sich herausstellt, dass eine Eigenschaft für die Kunden extrem wichtig ist, kann diese der Marktführer immer sofort kopieren. Was aber ein Verfolger nie kopieren kann, ist die „Führungsposition” des Marktführers.“
Die Kategorie mental besitzen
Genau aus diesem Grund sollte ein Start-up-Unternehmen, wenn es eine starke Marke bauen will, immer zuerst die Kategorie definieren, die man einmal in der Wahrnehmung der Kunden besitzen will. Dazu gehört auch, dass man von der ersten Minute an als Sprecher für diese Kategorie wahrgenommen wird.
Nehmen Sie etwa die relativ neue Kategorie „Fernbus“. Wer hat diese in Deutschland erfunden? Keine Ahnung, aber Flixbus mit seinen grünen Bussen ist gerade dabei, diese neue Kategorie als Erster mental zu besetzen. Damit sind wir noch bei einem wichtigen Punkt, wenn man eine neue Kategorie in den Köpfen der Kunden besitzen will. Man muss in vielen Fällen nicht einmal dabei wirklich kreativ sein, oft reicht es aus, eine bestehende noch mental unbesetzte Kategorie zu finden, um sich dann mit aller Kraft als erste Marke darauf zu fokussieren.
Denken Sie etwa an den Markt für Video-on-Demand in Deutschland! Wen nehmen Sie als Themen- und damit auch als Marktführer wahr? Die Antwort darauf dürfte wahrscheinlich immer öfter Netflix lauten. Dabei hat Netflix diesen Markt in Deutschland nicht erfunden. So sahen die Marktanteile vor dem Eintritt von Netflix im Jahr 2014 aus: (Quelle Statistika 2014 in w&v 32/2014, S. 32):
(1) Maxdome ….. 35%
(2) iTunes ….. 18%
(3) Lovefilm ….. 12%
(4) Videoload ….. 10%
(5) Sky ….. 9%
(6) Playstation Network ….. 3%
(7) Watchever …. 2%
(8) Kabel Deutschland ….. 2%
(9) Unity-Media ….. 1%
Im Jahr 2015 sah der Markt laut einer Umfrage nach den beliebtesten Video-on -Demand-Anbieter auf Statista.com so aus:
(1) Amazon Prime Instant Video ….. 33,2%
(2) iTunes ….. 11,3%
(3) Maxdome ….. 11,3%
(4) Google Play ….. 10,8%
(5) Netflix ….. 8,0%
(6) Amazon Instant Video ….. 5,7%
(7) Unity-Media ….. 4,4%
(8) Videoload ….. 3,1%
(9) Watchever ….. 2,3%
Netflix ist nicht nur von Null auf Platz 5 aufgestiegen. Man hat außer Maxdome keinen Spezialanbieter mehr vor sich. Amazon, Apple und Google mögen zwar noch aus Sicht der Marktanteile vorne liegen, aber keine dieser drei Anbieter ist dabei, eine Marke im Bereich Video-on-Demand aufzubauen. Vielmehr nutzen diese drei Anbieter bereits eingeführte Marken (Amazon Prime, iTunes, Google), die für etwas anderes stehen, als Starthilfe. Aus Markensicht gesehen wird so entweder Netflix oder Maxdome einmal die führende Marke werden. Entscheidend dabei ist, wem es wirklich gelingt, als Themen- und damit auch als Marktführer bei Video-on-Demand wahrgenommen zu werden. Wenn man sich dabei die Marktanteilsentwicklungen ansieht, dürfte Netflix auf der Überholspur und Maxdome im Rückwärtsgang unterwegs sein.
Die wichtigste Markenfrage von allen
Damit sind wir aus Markensicht bei der wichtigsten Markenfrage von allen, wenn es um den Aufbau einer neuen Marke geht. Diese lautet: „Welche Kategorie wollen wir mit unserer Marke einmal in den Köpfen der Kunden besitzen?“ Basierend auf der Antwort auf diese Frage sollte dann das gesamte Marken- und Marketingprogramm entwickelt werden. So einfach in der Theorie, oft so unendlich schwer in der Praxis.