Gehirn-gerechter Markenaufbau und der aktuelle Doppelfehler von Polestar

Kürzlich wurde mir in einem E-Mail-Interview für eine deutsche Werbe- und Marketingzeitschrift folgende Frage gestellt: „Wie stark wird die Nachfrage nach neuen Diesel- und Benzin-PKW Ihrer Einschätzung nach aktuell vom expliziten Wunsch der Kunden und deren Macht der Gewohnheit getrieben?“

Die Macht der Herde

Meine Antwort darauf lautete: „Der entscheidende Faktor ist aus meiner Warte dabei weder der explizite Kundenwunsch noch die Macht der Gewohnheit. Der entscheidende Faktor ist zuerst der mediale und dann der tatsächliche Herdentrieb.“

Um besser zu verstehen, worum es dabei geht, sollten wir uns einmal den Markenbildungsprozess aus Kundensicht näher ansehen. Wie reagieren Menschen auf neue Kategorien und Marken? Dabei kann man oft die folgenden sechs Reaktionen feststellen:

Erste Reaktion: „Nie zuvor davon gehört. Das kann nichts werden.“

Zweite Reaktion: „Das soll ein Erfolg werden. Das interessiert doch niemanden.“

Dritte Reaktion: „Netter Gag, aber das wird bald vorbei sein.“

Vierte Reaktion: „So blöd kann die Idee nicht sein.“

Fünfte Reaktion: „Darauf hätte man selbst kommen können.“

Sechste Reaktion: „Ich habe schon immer gewusst, dass das eine Bombenidee ist.“

Die logische nächste Reaktion darauf sollte dann natürlich der Kauf sein. Natürlich laufen nicht bei allen Menschen diese oben genannten Reaktionen genauso und in dieser Reihenfolge ab. So gibt es Menschen, die neuen Kategorien und Marken sehr aufgeschlossen gegenüberstehen, während andere etwas mehr oder teilweise auch sehr viel mehr Zeit brauchen, um sich für Neues zu öffnen. Ich kann mich in diesem Zusammenhang selbst erinnern, dass in meinem Bekanntenkreis viele Nespresso zu Beginn nicht nur belächelten, sondern auch sofort klar machten, dass ihnen so etwas nie ins Haus komme. Bei vielen davon steht heute eine Nespresso-Maschine in der Küche oder am Arbeitsplatz. Das heißt aber auch: Je mehr Elektroautos verkauft werden, desto mehr Menschen werden sich überlegen, dass man auch auf Elektroautos umsteigt.

Marken gehirn-gerecht bauen

Das ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen Seite sollten auch Marken ihr Markenaufbau-Muster an diese oben genannten Reaktionen anpassen. Dazu empfiehlt sich neben einer klaren Positionierung rund um einen klaren Markenfokus das Kommunikationsmuster „zuerst PR, dann Werbung“.

Genau das macht in der Elektromobilität Elon Musk mit Tesla perfekt. Weniger gut macht es aus dieser Perspektive Polestar und das gleich doppelt:

(1) So differenzieren Aussagen wie „100% elektrisch“ oder „Wir sind eine Marke für Performance-Elektrofahrzeuge mit dem Ziel, die Gesellschaft, in der wir leben, zu verbessern.“ Polestar viel zu wenig von Tesla.

(2) Gleichzeitig hat man viel zu früh auf Fernsehwerbung gesetzt. Was Polestar heute tun müsste, ist, dass man in den Medien wirklich als der Herausforderer von Tesla positioniert wird.

So gesehen muss man bei Polestar aufpassen, dass man im medialen Duell Tesla gegen die etablierte Automobilindustrie nicht „untergeht“. Das heißt: Polestar müsste sich heute mit dem Polestar 2 vor allem medial klar gegen Tesla positionieren. Man müsste alles daran setzen, dass es zu einem medialen Duell a la iPhone versus Samsung Galaxy kommt. So einfach in der Theorie. Oft so schwer in der Praxis.

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2 Antworten zu Gehirn-gerechter Markenaufbau und der aktuelle Doppelfehler von Polestar

  1. Prom Wallinger schreibt:

    „Mediales Duell“ von ‚Tesla vs. Polestar‘ nach dem Muster von ‚iPhone vs. Samsung‘?

    Ist eher ‚wishful thinking‘!

    Journalisten können die Marke ‚Polestar‘ derzeit schlecht einordnen:

    (1) Polestar startete 2019 mit einem Plug-in-Hybrid-Wagen, inklusive R4-Verbrennungsmotor. Ist also von der Entstehungsgeschichte kein reines E-Auto-Unternehmen, kein Herausforderer auf reiner E-Basis. Tesla bleibt da das Original.

    (2) Polestar ist nicht trennscharf in den Kategorien. Der Polestar 1 wurde als „Hybrid-Sportwagen“ definiert, der Polestar 2 als „fünftürige Fließheck-Limousine“, der Polestar 3 als „vollelektrischer SUV“. Und über den Polestar 4 schreibt AutoMotorSport (Ausgabe 14.4.2020): „Er wildert ab 2022 im Revier von Tesla Model S oder Porsche Taycan“.

    (3) In der Kommunikation verwendet Polestar den Claim „Pure progressive performance“, setzt also auf das Kern-Wort ‚performance‘. Das machen aber auch Audi & Co. so! So bewarb Audi etwa den RS e-tron GT („unser elektrifiziertes Meisterstück“) unter anderem mit „driven by performance“.

    Dem Polestar-Co-Eigner Volvo ist aber zugute zu halten, dass für dieses Auto eine eigene, eigenständige Marke geschaffen wurde – ohne das Etikett ‘Volvo’ draufzukleben.

    So heißt es auf eine Presseanfrage über die Marke (=brand):

    „Polestar is serving as Volvo’s performance and electric-vehicle brand”.

  2. michaelbrandtner schreibt:

    Polestar hat eine Chance, speziell mit dem Polestar 2. Er könnte die Marke vollelektrisch aufladen. Nur müsste man auch klar machen, wofür dann Polestar 2 genau steht, da „Elektroauto“ von Tesla als wahrgenommener Marktführer besetzt ist. Erschwerend kommt hinzu, dass „Performance“ sicher nicht die Gegenposition zu Tesla sein kann.

    Damit bleibt es spannend, wer sich als die Alternative zu Tesla positionieren kann.

    Liebe Grüße und vielen Dank für den treffenden Kommentar

    Michael Brandtner

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