Als ich Ende der 1980er Jahre die Welt des Marketings betrat, war die Markenstrategie Nr. 1 mit Sicherheit die Markendehnung. Es schien der schnelle, einfache und vor allem sichere Weg zu mehr Wachstum und mehr Markenerfolg. Wer es damals wagte, diese Strategie kritisch zu hinterfragen, war schnell in einer Art „Außenseiterposition“.
Immer mehr Nebenwirkungen
Nur mit der Zeit mehrten sich die kritischen Stimmen und vor allem wurde auch der „Beipackzettel“ in den Marken- und Marketingbüchern immer länger. So wurden immer mehr Regeln und Gefahren definiert, um Marken wirklich dauerhaft erfolgreich zu dehnen.
Kurzfristig gesehen sind viele Markendehnungen, egal ob Line- oder Brand-Extension erfolgreich. Dafür sorgt in der Regel der gut eingeführte Name, den man nutzt oder in vielen Fällen ausnutzt. Nur je breiter Marken durch erfolgreiche Markendehnungen werden, desto größer wird die Gefahr, dass vor allem die nachwachsende Generation die Marke als mehr oder weniger austauschbar und wenig spezifisch wahrnimmt.
Vier Erfolgsfaktoren für Nivea …
Nehmen wir dazu einmal die Marke Nivea! Nivea ist sicher eine der erfolgreichsten Markendehnungen. Das hat sicher einmal vier wesentliche Gründe:
(1) Viele wurden von klein auf mit der Nivea Creme groß. So ist diese auch in meiner Wahrnehmung und in meinem Gedächtnis immer noch die Basis und der mentale Anker der Marke.
(2) Nivea hat es mit dem Attribut „Pflege“ geschafft, dass man eine extrem starke Markenklammer hat, die in verschiedenen Produktkategorien und damit auch auf verschiedenen Produkten funktioniert. (Als man um die Jahrtausendwende Pflege auf Schönheitspflege erweitere, musste man aber auch bei Nivea erkennen, dass man damit die Marke überdehnt. Heute ist Nivea wieder klar auf Pflege fokussiert.)
(3) Man kann Nivea-Produkte in vielen Fällen parallel benutzen. So kann man etwa ein Nivea Duschbad, ein Nivea Deo und die Nivea Creme sofort hintereinander benutzen. (Bei Coca-Cola etwa sieht dies anders aus. Hier muss man in der Regel eine Entweder-oder-Entscheidung treffen. Niemand wird die dreifache Menge Cola am Tag trinken, nur weil es neben dem klassischen Coca-Cola noch Zero und Light gibt.)
(4) Nivea ist am Point of Sale extrem dominant und profitiert damit auch davon, dass dieser Platz limitiert ist und sich damit oft Mitbewerber enorm schwer tun, selbst ausreichend Platz zu bekommen.
… und die Faktoren Zeit und Eigenmarken
Aber auch für Nivea gibt es heute und vor allem in Zukunft zwei große Herausforderungen, nämlich der Faktor Zeit mit der nachwachsenden Generation und der Faktor Eigenmarken. Dazu sollten wir uns beide einmal näher ansehen.
(1) Wenn man heute oder auch vor 10 oder 20 Jahren auf die Welt gekommen ist, hat man die Nivea Creme in der Regel nicht mehr als die eine „Markenherkunft“ kennengelernt. Damit fehlt hier ein wesentlicher mentaler Markenanker. So gibt es etwa für meine Tochter, wenn man bei dm einkaufen geht, eigentlich wenig Unterschied zwischen Nivea und Balea. So zeigen auch immer mehr Studien, dass die nachwachsende Generation nicht mehr so sehr zwischen klassischer Herstellermarke und Eigenmarke unterscheidet. Das gilt vor allem für sehr breite und damit gedehnte Herstellermarken.
(2) Gleichzeitig setzen immer mehr Handelsketten auf immer mehr Eigenmarken in den eigenen Zielsetzungen.
Drei Erfolgsfaktoren für Eigenmarken
Dabei kommen diesen Handelsketten aktuell drei Faktoren enorm entgegen.
(1) Je breiter Herstellermarken aufgestellt sind, desto mehr potenzielle Angriffspunkte bieten diese.
(2) Je breiter Herstellermarken aufgestellt sind, desto größer ist die Chance, dass diese auf Zeit nicht mehr als so gut wie früher wahrgenommen werden. (Zudem kann man diese mit Preisaktionen wöchentlich leichter „verramschen“.)
(3) Man hat die Regalhoheit und kann so die eigenen Eigenmarken gegenüber den Herstellermarken besser platzieren.
So gesehen kann sich speziell der Handel freuen, wenn starke Marken im Laufe der Zeit durch Überdehnung geschwächt werden.
Die Gratwanderung suchen
Für Markenverantwortliche heißt es aber, dass man oft auch die Gratwanderung zwischen klarer Markenpositionierung und den möglichen Wachstumschancen suchen muss. Entscheidend dabei ist natürlich, dass jede angedachte Markenerweiterung zur Marke in Summe passt. Zudem sollte man das Kannibalisierungspotenzial so gering wie möglich halten. Denn genau dieses kann dazu führen, dass man die eigenen Kunden von der Marke „wegerzieht“. Trank man früher Coke mit Zucker, dann Coke Zero, trinkt man heute gesündere Alternativen.
Zudem sollte man aber immer darauf achten, dass man „mentale Ankerpunkte“ besitzt, auf die man sich im Falle des Falles refokussieren kann. Das kann etwa eine starke Führungsposition oder ein starkes Attribut sein oder es können auch einzelne Leadprodukte oder Leadleistungen sein. So war auch Sony eine sehr viel stärkere Marke, als man noch mit konkreten Leuchtturmprodukten wie Walkman, HandyCam, Camcorder oder Trinitron mental verbunden wurde. Aus dieser Perspektive betrachtet macht mit Sicherheit das Samsung Galaxy mehr für Samsung als umgekehrt.
Eines ist aber klar. Stand man früher dem Thema Markendehnung viel zu optimistisch gegenüber, ist der Blick darauf heute mit Sicherheit realistischer. Auf eines aber sollte man immer achten: Speziell eine sehr erfolgreiche Markendehnung mit hohem Kannibalisierungspotenzial kann nicht nur die Kernmarke nachhaltig untergraben, sondern auch „süchtig“ machen. Das führt dann zu mehr und mehr Markendehnungen und letztendlich zu einer „ausgebrannten Marke“.
