Im ersten Positioning-Prinzip zeigte ich auf, dass es entscheidend ist, dass man eine freie Position oder Lücke in der Wahrnehmung der Kunden findet oder im Falle des Falles erfindet. Tesla fand die freie Position „Elektroauto“. Dr. Best erfand die freie Position „nachgebend“ bei Zahnbürsten.
Von der Lücke zur Positionierung
Das heißt aber auch, dass man radikal aus Sicht der Kundenwahrnehmung denken sollte. Anders ausgedrückt: Man sucht zuerst nach dieser einen Lücke in der Wahrnehmung, um dann die eigene Marke so auszugestalten, dass man diese freie Lücke perfekt füllen kann.
Das große Problem dabei in der Praxis: Die meisten Marken sind viel zu breit und viel zu unspezifisch, um eine freie Lücke füllen zu können. Nehmen Sie etwa Rügenwalder in den 1990er Jahren. Damals war Rügenwalder ein weiterer breitsortierter Anbieter von Fleisch- und Wurstwaren aller Art. Nur gibt es in der Wahrnehmung der Kunden keine Lücke „Fleisch- und Wurstwaren aller Art“. Kunden denken konkret und nicht abstrakt. Aber es gab die freie Position „Teewurst“. Das heißt: Die Idee „Teewurst“ war noch von keiner Marke wirklich besetzt.
Auf die freie Position fokussieren
Genau auf diese Position fokussierte sich Rügenwalder sehr erfolgreich. Das heißt: Man fokussierte im wahrsten Sinne des Wortes die Marke und das Unternehmen auf „Teewurst“. Dazu meinte der Rügenwalder Marketing-Geschäftsführer Godo Röben im Horizont 24/2012: „Über die Jahre haben wir unser Produktangebot von 400 Artikeln auf sechs reduziert und sind trotzdem kontinuierlich gewachsen.“ Aus Positioning-Sicht wäre treffender gewesen, wenn er das Folgende gesagt hätte: „Über die Jahre haben wir unser Produktangebot von 400 Artikeln auf sechs reduziert und sind deswegen kontinuierlich gewachsen.“ So stieg der Umsatz von Mitte der 1990er Jahre von 70 Millionen Euro auf 170 Millionen Euro im Jahr 2012 mit 6 Produkten. Genau das ist die Macht einer klaren Fokussierung und Positionierung.
Vorsicht vor zwei freien Positionen
Nur bei Rügenwalder fand man seitdem eine zweite freie Position in der Wahrnehmung, nämlich „vegetarische Wurst- und Fleischprodukte“. So steht die Marke heute für zwei Positionen in der Wahrnehmung. Kurzfristig mag dies brillant aussehen. Langfristig besteht die große Gefahr, dass die Marke Rügenwalder für nichts mehr steht.
Früher stand die Marke Toyota für „Zuverlässigkeit“. In Österreich etwa brachte man dies mit dem alliterierenden Slogan „Today. Tomorrow. Toyota.“ perfekt auf den Punkt. Nur dann setzte man parallel dazu auf die freie Position „Hybridauto“ mit dem Prius. Nur wofür steht Toyota heute! War man über Jahrzehnte das meistverkaufte asiatische Auto in Deutschland, musste man diese Position an Hyundai abgeben. Toyota ist in unserer Wahrnehmung nicht mehr das, was es früher einmal war. Es fehlt der klare Fokus und damit fehlt auch die klare Position in der Wahrnehmung.
Opel refokussieren
Eine andere Automobilmarke, die dringendst über eine Refokussierung nachdenken sollte, ist die Marke Opel. Aber auch hier sollte man zuerst in der Wahrnehmung der Kunden starten, um eine freie Position oder Lücke zu finden, um dann die Marke darauf zu fokussieren.
Nur bei Opel dürfte man dies anders sehen. So verkündete man kürzlich, dass man im Jahr 2019 nicht einen, sondern drei Kommunikationsschwerpunkte setzen möchte: (1) Opel feiert 120 Jahre, (2) Opel präsentiert den neuen Corsa und (3) Opel setzt auch klar auf Elektromobilität. Zudem sollten sämtliche Neuerungen, wie Horizont.net am 6. Dezember berichtete, laut Opel-CEO Michael Lohscheller die Markenwerte „deutsch“, „nahbar“ und „begeisternd“ transportieren. Dazu wurde Lohberger so zitiert: „Mit diesen Werten werden wir uns noch stärker als deutsche Marke positionieren“.
Das mag aus Sicht des Opel-Managements und vielleicht auch aus Sicht der Kommunikationspartner von Opel Sinn machen, aus Positioning-Sicht oder besser aus Sicht der Wahrnehmung der Kunden macht das alles wenig oder keinen Sinn. Dabei würde gerade das 120 Jahre Jubiläum in Bezug auf die Repositionierung und der Refokussierung der Marke eine enorme Chance bieten. So etwa nutzte das Nivea-Management das 100 Jahre Jubiläum im Jahr 2011 perfekt, um die Marke wieder auf eine Idee, nämlich „Hautpflege“ zu refokussieren. Das sollte auch Opel bedenken.
Heißt: Man sollte zuerst eine und wirklich nur eine freie Lücke finden, um dann die Marke ganzheitlich darauf zu fokussieren. Denn eines ist klar: Weder die deutsche Herkunft, noch die Werte „nahbar“ und „begeisternd“ sind dafür geeignet, dass die Marke Opel damit eine mentale Spitzenstellung erobert, die die Marke in den Augen der Kunden wünschenswert positioniert. Das klingt so mehr nach Wunschliste an den Weihnachtsmann als nach einer klaren Marken- und Positionierungsstrategie rund um einen zentralen Markenfokus.
PS dazu: So könnte es für Opel auch Sinn machen, dass man einmal die Werbegeschichte von BMW in den USA studiert. Bis 1974 setzte BMW in den USA parallel auf verschiedene Botschaften wie „luxury“, „performance“, „handling“ oder „easy on fuel“ und drehte sich damit im Kreis. So lag man 1974 in der Zulassungsstatistik der Importautos in den USA auf dem mageren elften Platz hinter Volkswagen, Capri, Fiat, Opel, Volvo, Audi, Mercedes, MG, Porsche und Triumph. Dann fokussierte man die gesamte Markenkraft auf die freie Lücke „driving“ mit dem Slogan „The ultimate driving machine“. Und der Rest ist Erfolgsgeschichte.