Genau zu diesem Thema werde ich morgen auf der ForumF Konferenz 2021 „Finance Marketing Benchmark 2021: Transformation, Disruption, Innovation“ eine Keynote halten. Dabei geht es vor allem darum, wie das Internet als Medium die Markenwelt verändert. Dazu sollten wir zuerst einen Blick in das 20. Jahrhundert werfen.
Vom Medien- zum Markenwandel
Aus Markensicht war ganz klar das Fernsehen das dominante Massenmedium im 20. Jahrhundert. Es war das ideale Medium, um die breite Masse mit Massenwerbung zu erreichen. So wurde Marke auch sehr oft mit teurer Fernsehwerbung gleichgesetzt, egal ob man an Coca-Cola, Gillette, McDonald’s, Milka, Nivea oder Persil denkt.
Das Internet ist anders. Es ist auch ein Massenmedium, aber es ist im Gegensatz zum Fernsehen ein interaktiv globales Medium. Damit ist es a) perfekt geeignet um Communities zu erreichen, und b) erlaubt es auch sogar dem Einzelnen daraus ein eigenes Geschäftsmodell zu entwickeln. (Beides ist mit bisherigen Massenmedien nicht möglich gewesen.)
Von der Massen- zur Mikromarke
Damit entsteht aber auch eine neue Art von Marke, nämlich die Mikromarke oder die Microbrand. Diese hat Markenexperte Karsten Kilian kürzlich basierend auf meinem Buch „Radikale Markenfokussierung“ in der Fachzeitschrift Markenartikel so definiert: „Mikromarken sind spezialisierte und fokussierte Marken, die in ausgewählten Zielgruppen deutlich relevanter sind als breite Massenmarken. Sie lassen sich Michael Brandtner zufolge auch als „Supernischenmarken“ bezeichnen, die nur halbherzig fokussierte Marken durch ihre enge Fokussierung „defokussieren“. … „Zentraler Hebel für Mikromarken ist die Demokratisierung des globalen Wettbewerbs durch die Digitalisierung. Im Prinzip kann sich heute jede Marke online der ganzen Welt präsentieren und ihr Angebot digital oder physisch weltweit distributieren.“
So wachsen diese Marken in vielen Fällen auch aus Communities oder gemeinsamen Interessen heraus. Nehmen Sie etwa Glossier! Diese Marke steht heute nicht nur global für „Beauty inspired by real life“, sondern ist für viele auch das E-Commerce-Vorbild bei Pflege- und Kosmetikprodukten. Dabei entstand diese Marke aus einem Blog heraus.
Emily Weiss war Redaktionsassistentin bei der Vogue, aber ihre große Leidenschaft war ihr Blog „Into The Gloss“, mit dem sie die Schönheit demokratisieren wollte. 2010 ins Leben gerufen, hatte der Blog 2013 im Monat zwei Millionen Einzelbesuche und über 120.000 Follower in den Sozialen Medien. Ein großer Vorteil dabei war, dass Emily Weiss durch ihre Vogue-Kontakte die Blog-Beiträge durch Interviews mit prominenten Persönlichkeiten, wie etwa der Designerin Jenna Lyons oder dem Model Karlie Kloss, aufwerten konnte.
2013 begannen Weiss und ihr Team – basierend auf den Erkenntnissen aus dem Blog – eigene Kosmetikprodukte für Into The Gloss zu entwickeln. Das erste Produkt war eine Feuchtigkeitscreme, die Akne nicht verschlimmern würde. Daraus entstand dann 2014 die eigenständige Marke Glossier. Aufbauend auf der Blog-Community verzeichnete die E-Commerce-Website von Glossier schnell um die 1,5 Millionen Besucher pro Monat.
Basierend auf den Bedürfnissen der Community wurden dann schnell immer neue Produkte eingeführt, um den Wachstumskurs fortzusetzen. 2016 eröffnete Glossier den ersten stationären „Flagshipspace“ in Manhattan, dem Pop-up-Stores in Toronto und Paris folgten. Im Jahr 2017 wurde der Wachstumskurs vor allem auch durch immer stärkere Internationalisierung fortgesetzt. Bedingt durch die Corona-Krise kam es dann zu einer kompletten Refokussierung auf den E-Commerce. Aus Markensicht sollte man dies als große Chance sehen, um in Zukunft noch fokussierter zu wachsen. So gesehen passt auch die aktuell angebotene Bekleidungslinie GlossiWear nicht wirklich zur Marke. (Der Wert des Unternehmens wird auf über eine Milliarde US-Dollar geschätzt.)
So wie Glossier wachsen viele dieser Mikromarken aus ganz speziellen Bedürfnissen und Interessen heraus. Dabei werden wir dann zusätzlich in Zukunft wahrscheinlich sogar zwei Arten von Mikromarken unterscheiden müssen, nämlich Mikromarken, die wirklich dauerhaft in kleinen Nischen bleiben, und Mikromarken, die zu Milliardenunternehmen aufsteigen werden. Eines werden aber beide gemeinsam haben. Sie werden (durch und mit dem Internet) die Wettbewerbs- und Markenlandschaft für immer verändern.)
Eine neue Ära des Wettbewerbs
Bleiben wir dabei gleich beim globalen Kosmetik- und Pflegemarkt. Hier geht man laut Medienberichten davon aus, dass diese Mikromarken bereits einen Weltmarktanteil von 40 Prozent oder mehr haben. Damit verändert sich aber auch der globale Wettbewerb massiv. Stand früher eine klassische Marke mit einer Handvoll anderer klassischen Marken im Wettbewerb, steht man heute unter Umständen mit 20, 30, 40 oder sogar 100 Marken im Wettbewerb, die jeweils in ihrer spezifischen Zielgruppe sehr viel klarer und relevanter positioniert sind. Damit werden wir auch neu über das Thema „Markendehnung“, egal ob Brand- oder Line-Extensions denken müssen. Denn je breiter eine Marke aufgestellt ist, desto größer ist die Gefahr, dass man von cleveren Mikro-Konkurrenten „defokussiert“ und „depositioniert“ wird. So gesehen sollten viele Markenverantwortliche ihre aktuellen Strategien aus diesem Blickwinkel überdenken, denn immer öfter schlägt so eine engfokussierte „Relevanzmarke“ eine breite unspezifische „Massenmarke“.