Kürzlich präsentierte Volkswagen nicht nur das neue elektrische Einstiegsmodell ID. Every1, sondern auch ein neues Markenmanifest für die Zukunft. Dazu vermeldete Horizont Online am 5. März dieses Jahres: „Mit diesem Marken-Manifest will Volkswagen die Krise abschütteln“. Nur zwei Tage später hieß es dann: „VW tauscht Markenmanifest wegen Ähnlichkeit mit Apple-Werbung aus“. Dabei ähnelt – strategisch betrachtet – VW zurzeit sehr viel mehr Nokia als Apple. Eine Analyse.
Apple ist heute mit Sicherheit für viele Marken- und Marketingverantwortliche ein Vorbild, wenn es generell um die strategische und operative Markenführung geht. Vielleicht wünscht man sich so auch bei VW ganz insgeheim, dass die eigene Marke heute und morgen so wie Apple wäre. Aus strategischer Markensicht betrachtet ähnelt VW aktuell mit Sicherheit aber mehr Nokia in der frühen Smartphone-Ära. Um das Ganze besser zu verstehen, sollten wir uns drei Schlüsseljahre von Nokia näher ansehen.
2001, 2007, 2012
Um die Jahrtausendwende war die Welt für Nokia mit Sicherheit mehr als nur in Ordnung. Als BusinessWeek 2001 das erste Mal die 100 wertvollsten globalen Marken dieser Erde präsentierte, lag man auf Platz 5 mit einem Markenwert von 35,04 Milliarden US-Dollar. Wettbewerber Ericsson lag auf Platz 36 (7,07 Milliarden US-Dollar) und Motorola folgte auf Platz 66 (3,76 Milliarden US-Dollar). Apple war damals „nur“ auf Platz 49 mit 5,46 Milliarden US-Dollar.
2007 präsentierte Steve Jobs dann das iPhone, das erste Nur-Touchscreen-Smartphone, das nicht nur die Welt der Mobiltelefonie für immer verändern sollte, sondern auch generell unsere digitale Welt und damit auch unser digitales Verhalten. In diesem Jahr war Nokia beim Markenwert immer noch klar in Front. So lag man laut Interbrand auf Platz 5 der 100 wertvollsten Marken mit 33,7 Milliarden US-Dollar.
Apple war vor allem Dank iPod, iTunes und dem Hoffnungsträger iPhone bereits auf Platz 33 mit einem Markenwert von 11,04 Milliarden aufgestiegen.
Samsung, damals schon globale Nr. 2 bei klassischen Mobiltelefonen lag mit einem Markenwert von 16,9 Milliarden auf Platz 21. Motorola lag zwar nur mehr auf Platz 77, hatte aber Dank dem Motorola Razr noch einen Markenwert von 4,15 Milliarden. (Ericsson war nicht mehr in diesen Top 100 zu finden. BlackBerry schaffte erst 2008 den Sprung in die Top 100.)
2012 folgte dann der endgültige globale Führungswechsel in der Mobiltelefonie. Damals verlor Nokia im ersten Quartal dieses Jahres, nicht ganz fünf Jahre nach der Einführung des iPhones die Weltmarktführerschaft, aber nicht an Apple, sondern an Samsung. Die Headlines in den Medien lauteten damals: „Der Aufstieg des Galaxy-Königs“ oder „Samsung stößt Nokia vom Thron“ oder „Samsung stößt in Handygalaxien vor“.
Die tatsächliche Marktführerschaft wechselte damals von Nokia zu Samsung. Die mentale Marktführerschaft aber blieb bei Apple mit dem iPhone. Daran hat sich bis heute nichts verändert, auch wenn seit damals immer wieder neben dem Langzeitmarktführer Samsung etwa auch Huawei oder Xiaomi global marktanteilsmäßig vor dem iPhone lagen.
Diese für Nokia negative Entwicklung zeichnete sich dann auch bereits in den Markenwerten klar ab: So war Apple 2012 bereits die zweitwertvollste globale Marke. Der Markenwert betrug 76,57 Milliarden US-Dollar. Samsung war ebenfalls in diesem Jahr in die Top 10 auf Rang 9 mit einem Markenwert von 32,89 Milliarden vorgestoßen. Nokia wiederum war auf Rang 19 mit 21,01 Milliarden zurückgefallen. BlackBerry lag auf Platz 93 mit 3,92 Milliarden. (Motorola war das letzte Mal 2008 in den Top 100 zu finden, Nokia 2014 auf Platz 98 mit einem Markenwert von 4,14 Milliarden US-Dollar)
Die Perspektive wechseln
Wenn man diese Geschichte so rückblickend betrachtet, ging es anscheinend vorrangig um einen Kampf der Technologien und der Geschäftsmodelle. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist die Betrachtung aus Sicht der Kundenwahrnehmung und des Kundengedächtnis.
Wenn die Kunden früher um die Jahrtausendwende an Mobiltelefon dachten, dachten sie in Europa an Nokia und Ericsson, in den USA dachten sie an zuerst an Motorola und Nokia und dann mit dem Führungswechsel an Nokia und Motorola. Dahinter gab es natürlich noch diverse andere Anbietermarken.
Mit dem Auftauchen des Smartphones teilte sich aber nicht nur der Markt technologisch, es gab auf einmal auch zwei verschiedene Kaufentscheidungen. Zuerst einmal entschied man, ob noch ein normales Mobiltelefon reicht oder ob man schon ein schickes Smartphone braucht. Wenn man sich weiterhin für ein klassisches Mobiltelefon entschied, war Nokia auch nach 2007 klar die erste Wahl. Wenn man sich aber für die Kaufentscheidung Smartphone entschied, dann war Nokia klar im Schatten von iPhone, Samsung Galaxy und in der Unternehmenswelt auch noch von BlackBerry.
Genau deshalb sollte man, wenn man Marken analysiert, immer auch in konkreten Kaufentscheidungen denken. Dabei kann es speziell in disruptiven Märkten passieren, dass man bei der alten Kaufentscheidung perfekt positioniert ist, während man bei der neuen Kaufentscheidung im unprofilierten Mittelfeld feststeckt.
Das wahre Markenproblem von Volkswagen & Co.
Genau hier liegt aktuell auch das wahre langfristige Markenproblem von VW und vielen anderen etablierten Autoerzeugern in der westlichen Welt. In der alten Kaufentscheidungswelt, wenn es um Benzin, Diesel oder auch Hybrid geht, ist man wie VW eine echte Macht. Das gilt für VW vor allem für Europa und immer noch auch für China.
Nur in der neuen Kaufentscheidungswelt, wenn man sich also für ein Elektroauto entscheidet, wird die Marke VW, wenn man von Deutschland und vielleicht auch von Europa absieht, immer mehr nur als eine Art „Mitläufer“ wahrgenommen. Das trifft VW vor allem in China hart, wo ein Elektroauto mehr „Smartphone auf vier Rädern“ als ein normales Auto sein sollte. So spricht man in China auch immer öfter bereits nicht von Elektroautos, sondern von New Energy Vehicles. (Hier kann es auch gefährlich sein, dass das eigene Management die Marke aufgrund der Position im Heimmarkt überschätzt und den Wettbewerb global unterschätzt.)
Aber genau an diesem Punkt startet aus Markensicht die echte Parallele zu Nokia. Das heißt aber für VW, dass man das schaffen sollte, was Nokia trotz aller Versuche mit bis zu 60 neuen Modellen pro Jahr bei Smartphones nie schaffte, nämlich dass man auch in der Kaufentscheidung Elektroauto zu einer wahren und vor allem dauerhaft fixen Größe global aufsteigt. Nur dazu werden mehr Modelle alleine zu wenig sein. Entscheidend wäre ein global erfolgreiches Leadmodell, das VW mental mit an die Spitze katapultieren würde.
Apple als Strategievorbild
Und genau hier könnte sich VW jetzt wirklich Apple strategisch als Vorbild nehmen. Dazu ein Rückblick: Mitte der 1990er Jahre sah die Zukunft von Apple als Marke und Unternehmen alles andere als rosig aus. Dazu hieß es etwa auf der Titelseite von BusinessWeek, 5. Februar 1996: „The Fall of An American Icon“. Die meisten Unternehmen hätten wahrscheinlich in einer solchen Krisensituation intuitiv auf eine klassische 5-fach-Offensive gesetzt.
Heißt: Man hätte zuerst ein neues Markenmanifest oder eine neue Markenvision formuliert. Dann das Logo adaptiert. Zudem hätte man zeitgleich eine Produkt-, Werbe- und Preisoffensive gestartet, um den Turnaround der Marke zu erzwingen. Ganz anders Steve Jobs. Er fokussierte 2001 alle Kräfte auf den iPod, den ersten MP3-Player mit Harddisc und den brillanten Slogan „1,000 songs in your pocket“. Mit dem iPod brachte er Apple nicht nur aus der damaligen Computernische, sondern legte auch die Basis für iTunes, iPhone und iPad und damit auch für den heutigen Erfolg der Marke und des Unternehmens.
Das heißt: Wenn man eine Marke neu ausrichten möchte, kann es enorm Sinn machen alle Kräfte auf ein Leadprodukt zu fokussieren, das dann die Basis für die Gesamtneuausrichtung legt. So zieht Erfolg in der Regel Erfolg an. Dazu könnte VW aber auch die eigene Markengeschichte studieren. So hatte man selbst bereits mit dem VW Käfer und dem VW Golf zwei enorm erfolgreiche Leadprodukte. Eines dürfte aber jetzt schon klar sein. Die ID-Reihe dürfte alleine vom Namen her zu schwach sein, um wirklich die „Golf-Klasse“ in der Ära der Elektromobilität zu werden. (Zudem hätte so bereits der ID.3 der große Durchbruch sein müssen.)
BMW als „Samsung“ der westlichen Autoindustrie
Wer aktuell einen Ansatz in diese Richtung verfolgt ist BMW. So elektrifiziert BMW nicht nur bestehenden Modellreihen, sondern wird – wie es aktuell aussieht – Ende dieses Jahres eine komplett „Neue Klasse“ für die Elektromobilität präsentieren. Dazu erklärt BMW-Chef Oliver Zipse: „Die Neue Klasse ist viel mehr als nur ein Fahrzeug oder ein bestimmtes Konzept, sie ist die Neudefinition der Marke BMW – und zugleich mehr BMW als je zuvor.“
BMW könnte so das gelingen, was Samsung in der Mobiltelefonie gelungen ist, nämlich, dass man sowohl früher bei den klassischen Mobiltelefonen als auch aktuell bei den Smartphones klar positioniert ist. Wichtig dabei war natürlich für Samsung, dass man mit dem Samsung Galaxy ein starkes Leadprodukt mit einem starken eigenen Markennamen hatte und hat.
Hier wird für BMW entscheidend sein, ob es wirklich mit der Neuen Klasse gelingt, auch mental eine neue Klasse in den Köpfen der Kunden dauerhaft zu etablieren. Wenn sich das Ganze nur als verbale Markenkosmetik entpuppen sollte, könnte der Schuss – vor allem auch medial – nach hinten losgehen. Heißt: Diese Neue Klasse sollte auch visuell sofort als neue Klasse erkennbar sein.
Markenkosmetik ist zu wenig
Nichts gegen Markenmanifeste, überarbeitete Logos, Modell-, Preis- und Werbeoffensiven, all dies sind Werkzeuge in der Markenführung. Nur wenn man wirklich an der Wahrnehmung einer Marke etwas ändern möchte, erweisen sich diese Instrumente oft als viel zu schwach. Sie werden – wenn überhaupt – nur als eine Art Markenkosmetik wahrgenommen. Der Grund: Menschen haben in der Regel Wichtigeres in ihrem Leben zu tun, als die bestehende Meinung über eine Marke zu ändern, nur weil sich das das Management wünscht. Dazu kommt erschwerend: Im Negativen funktioniert diese Meinungsänderung sehr viel leichter als im Positiven. Was aber funktionieren kann, ist die Etablierung eines neuen Leadprodukts, dass sich a la iPod (Apple), BMW 1500 (BMW), Golf (VW), Lachgummi (Nimm2) oder Koffeinshampoo (Alpecin) eine eigene neue Erfolgsposition schafft. Diese strahlt dann im Sinne des Halo- oder Heiligenschein-Effekts positiv auf die Marke in Summe aus. So gesehen hat der iPod, auch wenn er mittlerweile eingestellt wurde, mehr für Apple getan als Apple für den iPod.
Erschien im Original auf Horizont Online
