Hieß es noch vor kurzem, dass es in der Corona-Krise eine Renaissance der Marken gegeben habe, zeigt der aktuelle PoS-Marketing-Report 2021 der Agentur UGW das dem wahrscheinlich doch nicht so ist. Im Gegenteil: Die Markentreue, vor allem im Bereich der Fast-Moving-Consumer-Goods ist weiter im Sinken. Stimmten im Jahr 2013 nur 20 Prozent der Befragten der Aussage „Beim Lebensmittelkauf könnte ich ganz auf Markenprodukte verzichten“ zu, waren es 2015 schon 24 Prozent, 2017 schon 29 Prozent und 2020 bereits – aus Markensicht erschreckende – 44 Prozent.
POS, Marke und Eigenmarke
Diese Zahlen zeigen nicht nur, dass die Marke als Kaufentscheidungskriterium vor allem am Point of Sale an Bedeutung verliert, sie zeigen, dass es sich dabei um einen Prozess handelt. Verstärkt wird dies noch dadurch, dass vor allem die Jugend immer weniger zwischen Herstellermarke und Handelsmarke unterscheidet, wie bereits eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien aus dem Jahr 2013 zeigte. So ist für viele Jugendliche Balea genauso Marke wie Nivea.
Diese Wahrnehmung wird durch immer professioneller geführte Eigenmarken zudem am Point of Sale klar verstärkt. (Dazu kommt, dass der Handel zudem noch die Regalhoheit besitzt.) Aber viel entscheidender aus Markensicht sind zwei psychologische Erziehungsfaktoren. So wurden die Kunden in den letzten Jahren und Jahrzehnten systematisch zum Wechsel- und Preiskäufer erzogen. Dabei spielten und spielen zwei „Lieblingsstrategien“ der Akteure perfekt zusammen.
Markendehnung und Preisaktionen
Aus Positionierungssicht fördern vor allem zwei Handlungsweisen die Markenuntreue, nämlich die Überdehnung von Marken auf der einen Seite und immer häufigere Preisaktionen auf der anderen Seite.
(1) Je breiter man eine Marke positioniert, desto weniger speziell wird diese. So schätzen wir Spezialisten höher ein als Generalisten. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem immer die nachwachsende Generation die Markenhistorie und die frühere eindeutige Positionierung nicht kennt.
(2) Je öfter Marken in Preisaktion sind, desto wichtiger wird der Preis als Einkaufskriterium generell. Der Handel erzieht so die Kunden systematisch zum Preiskäufer. Dabei kann dies natürlich in Etappen erfolgen. Zuerst kauft man nur die Lieblingsmarke in Preisaktion, dann kauft man auch andere Marken in Preisaktion und dann achtet man vor allem auf Preisaktionen.
Das gefährliche Reaktionsmuster
Aber das wahrhaft Spannende kommt erst: Wie reagieren viele Verantwortliche, wenn die eigene Marke unter Druck kommt? Sie setzen auf Markendehnung und oft dann auch noch auf Preisaktionen. Der Gedanke dahinter: Wir gewinnen neue Kunden über den Preis, um diese dann zu Stammkunden zu machen. Nur wenn man sich das langfristige Erziehungsmuster ansieht, leistet man hauptsächlich wieder einen Beitrag dazu, dass man noch mehr Kunden in Richtung Preis als oberstes Einkaufskriterium erzieht. Viel besser: Den Gegenprozess starten, um (unter Umständen auch mit einem neuen Leadprodukt) die Marke zu refokussieren und zu repositionieren.