Um überleben zu können, ist unser Gehirn auf Ordnung programmiert. Es geht darum, sich in einer komplexen Welt mit möglichst großer Sicherheit und mit möglichst wenig Energieaufwand zurecht zu finden. Das galt in der Steinzeit, das gilt heute, auch wenn sich natürlich die Umwelt massiv verändert hat.
Marke als mentale Denkabkürzung
Dabei ist die Marke eine Art „Denkabkürzung“, um uns Entscheidungen zu erleichtern. So schafft etwa eine Marke wie Red Bull Ordnung in einer Welt des Überangebotes von Energydrinks, Sportgetränken und anderen Erfrischungsgetränken.
Spannend dabei ist, dass sich Gehirnforscher sehr intensiv mit dem Thema „Ordnung“ im Gehirn beschäftigen, während es in Strategie-, Marken- und Marketingmeetings so gut wie nie erwähnt wird. Oder wurden Sie schon einmal von Ihrer Werbeagentur oder Ihrem Markenberater gefragt, welchen Ordnungsbeitrag Ihre Marke leistet?
Von der Ordnung zur Unordnung
Wenn man die Geschichte von erfolgreichen Marken studiert, findet man in der Regel immer eine erste Idee, die für eine neue Ordnung im Markt sorgte. Nehmen Sie aktuell etwa den Markt für Elektroautos. So gut wie jeder etablierte Autokonzern sorgt aktuell dafür, dass das Angebot aus Kundensicht immer vielfältiger und unübersichtlicher wird. Nur Elon Musk mit Tesla sorgt wirklich dafür, dass es in unserem Gehirn einen Markenmaßstab für Elektroautos gibt.
Nur auch Musk muss vorsichtig sein, dass er die Marke Tesla nicht mit zu vielen Modellen in zu vielen Preisklassen überfordert. Speziell wenn er in den Markt für günstigere Elektroautos einsteigen sollte, sollte er über eine zweite Marke nachdenken, um so die etablierte Autoindustrie von oben und unten in die Zange zu nehmen.
Damit sind wir bei einem weiteren wichtigen Punkt. Wenn man die Geschichte von erfolgreichen Marken weiter studiert, muss man oft erkennen, dass diese dann mit zu vielen Produkten und Dienstleistungen „überdehnt“ wurden. Die Folge: Die Marke verliert nicht nur an Profil. Sie verliert vor allem ihre Ordnungsfunktion. Nehmen Sie etwa den Kaffeemarkt! In den 1970er Jahren, als ich ein Kind war, waren Jacobs, Tchibo und Eduscho die Kaffeemarken. Heute sind das viel eher Marken wie Nespresso, Illy, Lavazza oder Segafredo. Natürlich sind Jacobs, Tchibo und Eduscho immer noch bekannte Marken, aber sie sind – vor allem aus Sicht der jüngeren Zielgruppen – wahrscheinlich nur mehr weitere bekannte Kaffeemarken ohne echte Differenzierung und damit ohne echte Ordnungsfunktion.
Von der Unordnung zur neuen Ordnung
Was aber macht unser Gehirn, wenn eine oder mehrere Marken nicht mehr für eine echte Ordnung sorgen? Einfache Antwort: Es sucht sich eine neue Ordnung, denn darauf ist es seit Jahrtausenden programmiert. Dazu hat man – übervereinfacht – zwei Möglichkeiten.
(1) Man weicht auf eine andere Marke mit mehr Ordnungsfunktion aus. Wenn man etwa alle herkömmlichen Staubsaugermarken mit Beutel als austauschbar wahrnimmt, dann wird Dyson als der erste beutellose Staubsauer zu viel mehr als nur einer Alternative.
(2) Man weicht auf andere Denkabkürzungen aus. Der einfachste Weg dazu: Man erklärt alles als ähnlich gut und macht den Preis zum Entscheidungskriterium Nr. 1. Genau das passiert aktuell – auch angeheizt durch die aktuelle Krisen- und Inflationssituation – immer und immer öfter. Verstärkt wird dies noch durch Preispromotions, die vor allem dann notwendig werden, wenn die eigene Positionierungs- und Differenzierungskraft nachlässt.
Dazu schreiben Peter Haller und Wolfgang Twardawa in ihrem Buch „Building Best Brands“: „Sehr eindrucksvoll ist der empirisch gesicherte Nachweis, dass Preispromotions Markenkäufer zu Promotionkäufer erziehen. … Besonders beunruhigend an dieser Situation ist, dass der Status des Promotionkäufers die Vorstufe zum Abstieg ins Handelsmarkensegment ist.“ Beide kommen zu folgendem Schluss: „Wir füttern mithilfe einer zunehmenden Zahl von Preispromotions für gut eingeführte Marken am Ende das Preiseinstiegssegment der Handelsmarken, wofür sich Aldi, Lidl und Co. bei den agierenden Herstellermarken eigentlich bedanken müssten.“
Frühlingsputz oder das Comeback der mentalen Ordnung
Gerade der Frühling ist die Zeit, in der viele wieder im Haus, in der Garage und im Garten für Ordnung sorgen. Vielleicht sollten dies auch Markenverantwortliche in Erwägung ziehen, um wieder für mehr mentale Ordnung und damit mehr Markenstärke zu sorgen. Dazu sollten man sich drei Fragen stellen, die unter Umständen auch etwas Marktforschung erfordern: (1) Wie stark sorgt die eigene Marke für mentale Ordnung bei den über 60-Jährigen? (2) Wie stark sorgt die eigene Marke für mentale Ordnung zwischen 30 und 60? Und wie stark sorgt die eigene Marke für mentale Ordnung bei den unter 30-Jährigen? So sollten speziell erfolgreiche Traditionsmarken immer darauf achten, dass auch die nachwachsenden Generationen wissen, wie stark, wertvoll und profiliert die Marke ist. So gesehen: Auf zum Markenfrühjahrsputz für mehr mentale Ordnung und Markenkraft!